Auf Inspektion der Klimaspuren
Nehmen wir den 23. Juni. Um 9 Uhr morgen treffen sich 30 Klimawanderinnen und Klimawanderer auf dem Bahnhof von Aarau. Mit ihnen ist Heini Glauser. Der Energieingenieur ist ein Umweltschützer der frühen Stunden. Schon manchen Strauss hat er gefochten mit der Stromlobby – in den Alpen wegen der Stauseen, im Unterland wegen der Atomkraftwerke. Mit ihm wandern wir durch ein Pioniergebiet der schweizerischen Wasserkraftnutzung und Elektrifizierung: 1892 surrte das Kraftwerk Brugg mit 1 Megawatt. 1979 machte die Schweiz mit dem Atomkraftwerk Gösgen den Sprung in die 1000 MW-Klasse: zentralisierte Stromproduktion mit riesigen Energieverlusten, dem Höchstspannungsnetz für Stromabtransport und Reservehaltung, sowie der Ignoranz der Folgen der heiklen radioaktiven Strahlen aus der Atomenergie. Heini Glauser ist ein geübter Kämpfer gegen den Unsinn und die Gefahren der Energie-Grossanlagen. Aber ebenso kenntnisreich arbeitet er seit vielen Jahren an den Alternativen, denn wie die Klimawanderer will er keineswegs, dass die Lichter ausgehen. So stellt er unterwegs vor, wie für die globale Energiewende dezentrale Lösungen auf Basis erneuerbarer Energiequellen und mit Effizienz und Suffizienz nötig und möglich sind.
In Olten warten die Architektinnen und Architekten der Gruppe ‚Countdown 2013‘. Sie werden auf einem mit einem spielerisch heiteren Stadtbesuch zeigen, wo in der Planung, in der Architektur und im Detail Architektinnen und Bauleute den Hebel ansetzen können, damit die grosse Verschwendung von Ressourcen und Energie und der Ausstoss von Treibhausgasen in der Bauerei gemindert werden kann – handfest, mit Phantasie und Können. Dann sind wir abgefüllt mit Wissen und anschaulich Eindrücken, müde von den 19 Kilometern in den Beinen und gehen ins Bett.
Wer will, wandert mit
Aarau–Olten ist ein Tag von Klimaspuren. Das Abenteuer hat am 1. Juni auf der Plazza Cumin in Ilanz begonnen. Am 12. Juli werden wir nach 42 Etappen in Genf landen, wo die Vereinten Nationen unsere Inspektion des Klimawandel in der Schweiz erhalten – inklusive eines Manifests: «Was tun?». Wir sind dafür nun Expertinnen und Könner. Denn Klimaspuren hat besichtigt, welche Spuren der Klimawandel in der Landschaft und in der Gesellschaft hinterlassen hat; wir haben Täter in der Finanzwirtschaft, der Luftfahrt, dem Motorenverkehr oder im Tourismus zur Rede gestellt; wir haben Findige und Rege besucht, die in Landwirtschaft, in der Mobilität, der Industrie oder in der Wissenschaft etwas gegen die Klimakrise unternehmen – sie ist ja nicht vom Liebgott gegeben, sondern von Menschen gemacht, also können die es auch anders, besser machen. Klimaspuren ist wie die Radiowanderung, einst eine Schweizer Institution. Wer will, wandert mit. Gut 70 Ortstermine warten am Wegrand von der Hausbesichtigung über das Treffen mit Bäuerinnen bis zum philosophischen Salon oder einem Theater zum Widerstand gegen die Stadtautobahn in Biel.
Naturfreunde und Tourismus
Besondere Beachtung bei Klimaspuren finden auch Themen, die den Naturfreundinnen und Naturfreunden am Herzen liegen – so die Frage, wie der Alpentourismus klimavernünftig gemacht werden kann. In Laax haben wir schon am zweiten Tag Reto Gurtner getroffen, der eines der grössten Ferien- und Skigebiete in der Schweiz regiert und für sich in Anspruch nimmt, mit intelligent eingesetzter Technik die Umweltschäden seines Tuns zu dämpfen. Wir haben seine Pläne betrachtet und sie kritisch zerlegt, aber auch neugierig, denn aller Klimanot zum Trotz – es ist kein Ausweg, die Tourismus-Maschine abzuwracken. Sie ist Arbeits- und Lebensort für viele Menschen im Gebirge und auch Glücksquelle für die Gäste. In der Hochschule Chur hat Klimaspuren aber auch eine Auslegeordnung des klimavernünftigen Tourismus gemacht; im Alpinen Museum in Bern werden wir zusammen mit dem SAC und der Alpen-Initiative am 29. Juni ein ehrgeiziges Projekt für die Klimazukunft der Alpen besprechen und am 4. Juli widmen wir uns in Neuchâtel der Utopie Alpinismus mit Netto Null.
Auch die Biodiversität und die naturnahe Landschaft, für die sich Naturfreunde ja seit langem einsetzen, begleiten Klimaspuren. In erster Linie natürlich entlang der schönen Wanderungen. Wir haben die Wege so eingerichtet, dass wir und unsere Gäste mit ästhetischem Hochgenuss auf der Strecke von gut 670 Kilometern und über 15’000 Höhenmetern von der Surselva zum Lac Leman wandern.
Da der Mensch aber sieht, was er weiss, treffen wir unterwegs Förster, Biologinnen, Vogelkundler und Bäuerinnen zu gut 70 Ortsterminen, damit sie uns ihre Kümmernisse und Zuversichten berichten und uns aus erster Hand aufklären, wie sie die Klimakrise wahrnehmen. Von den Vertreterinnen des Bundes Schweizer Landschaftsarchitekten (BSLA) hören wir, wie Landschaften klimavernünftig zu planen sind, und auch ein Treffen mit Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz darf nicht fehlen – auf einer Terrasse im Jura blicken wir mit ihm am 2. Juli in Nods übers Land und hören auch, wie es um den Parc Chasseral bestellt ist.
Und Blog, Buch und Film …
Zu Fuss von Genf nach Ilanz auf Inspektion bei den Tätern, Opfern und Komplizen. Mit mir sind Dominik Siegrist und Zoe Stadler von der Ostschweizer Fachhochschule, er Landschaftsprofessor, sie Energieingenieurin, die Biologin Lucie Wiget vom SAC und Sylvain Badan, ein junger Verkehrsplaner aus der Romandie.
Mit uns sind hunderte wanderfroher Zeugen, die Fotoreporter Ralph Feiner und Jaromir Kreiliger und der Filmer Enrico Fröhlich. Berichten werden wir in unserer elektrischen Tageszeitung klimaspuren.ch, in einem Buch, in einem Dokumentarfilm und an künftigen Debatten – denn die Klimakrise wird die Gesellschaft und Kultur der nächsten Jahre bestimmen – auch mit phantasievollen Abenteuern wie Klimaspuren.