Gemeinsam Berge versetzen…
Ein sympathisches Zusammenspiel: Freiwilligen-Einsätze auf der Alp, zugunsten von Bergbauern-Familien – und dazu dient ein Naturfreundehaus als Basislager! Es gibt viele gute Gründe, dem NF-Haus Reutsperre oberhalb von Meiringen einen Besuch abzustatten.
Berge versetzen! Der Anspruch ist nicht unbescheiden; aber wir wissen aus Erfahrung: wo ein Wille, da ist ein Weg! Und wer‘s nicht versucht, hat bereits verloren. Also geht’s darum, die Sache anzupacken.
Just diese Idee steckt auch hinter dem Projekt Bergversetzer, mit dem die Schweizer Berghilfe und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) Freiwilligen-Einsätze im Berggebiet vermitteln – und dabei mit dem Naturfreundehaus Reutsperre zusammenarbeiten.
Denn jene Mädels und Jungs, die als Schulklasse auf den Alpen im Gebiet um die Reutsperre (oberhalb von Meiringen BE) im Rahmen von «Bergversetzer» einen Arbeitseinsatz bei einer Bergbauern-Familie leisten, logieren in eben diesem NF-Haus! Und Daniela Dobrowolski, die Pächterin auf der Reutsperre, versorgt sie dabei mit ausreichend Speis und Trank. Zurzeit arbeitet Bergversetzer im Gebiet der Meiringer Alpen mit 13 verschiedenen Bauern und Kooperationen zusammen.
Neues Gesicht
Berge versetzen – im gewissen Sinne trifft dies auch zu für die Situation von Daniela Dobrowolski, der neuen Pächterin im NF-Haus Reutsperre. Sie (die in ihrer Heimatgemeinde Ernetschwil u.a. über Jahre auch Asylsuchende betreut hat) und die seit Kindsbeinen bei den Naturfreunden dabei ist (sie ist Präsidentin der Sektion Jona-Rapperswil), hat über die Jahre unzählige Male Hausdienst geleistet im NF-Haus Sonnenberg; das ist jenes Haus beim Etzel-Pass (wunderbar gelegen zwischen Zürichsee und Sihlsee), das im 2011 im Auftrag der fünf zuständigen Zürcher NF-Sektionen gut gelungen renoviert worden ist. Und dann, im Lauf jener Jahre, begann in Daniela Dobrowolski der Wunsch zu keimen, so ein NF-Haus mal selbst, in Eigenregie, zu führen.
Diesen Wunsch in die Tat umzusetzen, das erfordert Mut. Aber, so hat sie es sich wohl gesagt: wer’s nicht versucht, hat bereits verloren. Und nun ist sie (da die eigenen Kinder ausgeflogen sind) seit Mai dieses Jahres die Pächterin im Haus Reutsperre – und verköstigt u.a. auch jene, die als «Bergversetzer» ins Rosenlaui-Gebiet kommen.
4500 Franken – über Nacht!
Berge versetzen – man darf mit gutem Grund annehmen, dass der Leitspruch «Glaube versetzt Berge» (was wohl in etwa so viel bedeutet wie «Wo ein Wille, da ist ein Weg») von Anfang an um dieses Haus auf der Reutsperre geweht hat. Denn, damals, im Juni 1935, hatte die Geschichte ums NF-Haus Reutsperre ihren Anfang allein nur deshalb genommen, weil die Gründungsmitglieder der Sektion Meiringen daran geglaubt hatten, über Nacht (vom 22. auf den 23. Juni) den für sie astronomisch hohen Betrag von 4500 Franken auftreiben zu können! Würde ihnen dies nicht gelingen, wäre die Chance für den Kauf des (damaligen) Reutsperre- Hüttlis auf ewige Zeit hin vertan. Denn für sie galt – und dies lässt sich in alten Protokollen der Sektion nachlesen: «Wenn wir diesen Platz zum Preis von 4500 Franken bis morgen nicht kaufen können und es in Meiringen bekannt wird, dass die Naturfreunde einen Platz im Rosenlaui-Gebiet erhalten, dann wird uns diese letzte Möglichkeit von dritter Seite vereitelt.»
Berge versetzen – nun, sie, die (damals wenig betuchten) Meiringer Naturfreunde hatten an jenem Abend des 22. Juni 1935 den Wettlauf mit der Zeit aufgenommen – und das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Noch in der gleichen Nacht, unmittelbar nach Sitzungsschluss, schwang sich der eine von ihnen (im Protokoll ist die Rede von «Genosse Schild») auf das von «Genosse Steudler» ausgeliehene Velo und begab sich, um 22 Uhr, auf Geldsuche. Das Protokoll vermerkt dazu: «Aber er kam zurück und zwar ohne Geld. Seine Quelle war leider auch erschöpft; der Mann hatte diese Summe nicht auf Lager».
Nun, ums’s kurz zu machen, sie schafften es dann doch noch! Und konnten am Folgetag, dem 23. Juni 1935, für 4500 Franken auf Reutsperre den Hüttenplatz käuflich erwerben. Für die zehn Meiringer Sektions-Mitglieder, die dazu eine Bürgschaft geleistet und eingewilligt hatten, eventuelle Risiken aus dem Kauf selber zu tragen, war’s ein Freudentag; dazu das Protokoll: «Denn trotz allem, Gegnerschaft und Hass gegen unsere Organisation, war es uns doch gelungen, einen Hüttenplatz zu erobern.»
Die Kraftwerke helfen mit
Auf diesem Hüttenplatz entstand in der Folge, mit finanzieller Unterstützung des Landesverbands der Naturfreunde Schweiz, das heutige NF-Haus Reutsperre. Was den Besitzern indes anfänglich derart viel Stolz und Freude bedeutete, bescherte den Nachkommenden im Verlauf der Jahre jedoch die eine oder andere Sorgenfalte. Und so wurde, ab 1982, die Sektion Horw (Kanton Luzern) neue Besitzerin des Hauses.
Die Herausforderungen verringerten sich damit indes keineswegs; es standen verschärfte Auflagen der Brandversicherung ins Haus, es musste ein Anschluss an die Kläranlage erstellt und finanziert werden, es ging um einen Anteil am Unterhalt der Strasse, das Haus musste ans Stromnetz angeschlossen werden, dringend auch war eine Verbesserung der Wasserversorgung – die Liste wurde länger und länger. Ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung, so zeichnete es sich bald ab, würde all dies für die Sektion Horw allein kaum mehr zu schaffen sein!
Und so kam es, dass aus dem Erbe der Sektion Horw die neue, im Kanton Bern registrierte Sektion Reutsperre-Oberhasli entstand, die dank finanzieller Unterstützung der Kraftwerke Oberhasli KWO die ans Haus gestellten Auflagen erfüllen konnte. Wäre dies nicht möglich gewesen, logierten heute keine Jugendlichen im Haus Reutsperre, die auf den umliegenden Alpen im Rahmen des Projekts Bergversetzer einen unentgeltlichen Umwelt-Einsatz leisten.
Auf Entdeckungsreise
Berge versetzen – gut möglich, dass bereits im Wort Reutsperre etwas von diesem Kraftakt steckt. Der Naturfreund und Bergführer Emil Feuz, der mit dem Haus Reutsperre eng verbunden ist (auch als früherer Pächter und heutiger Präsident der Sektion Reutsperre-Oberhasli), verweist auf jene Vermutung, wonach der Flurname Reutsperre zurückgehen könnte auf den Bergsturz von 1796, der eine Sperre für den Reichenbach gebildet und dadurch das Gebiet umgestaltet habe (respektive Berge versetzt hat). Eine zweite, ebenfalls ungesicherte Vermutung, setzt beim Wortteil Reute ein, und wagt den Sprung zum veralteten Wort reuten, womit roden und/oder urbar machen gemeint ist. In eine andere Richtung geht die dritte ins Feld geführte Vermutung; demnach verweist Reutsperre auf eine Einrichtung zum Aussperren (Absondern) von männlichen Tieren, meist Jungvieh. Dieses wird in der Ruet-Sperri gesömmert, auf dass man die gut gemästeten Tiere im Herbst schlachten könne. Dieser Erklärung mag auch Thomas Schneider, Etymologe an der Universität Bern, zustimmen, zumindest teilweise. Für das Berner Ortsnamensbuch sei der Begriff, der auch als Rüöt- Sperri und Ruetsperri auftaucht, jedoch nach wie vor nicht definitiv geklärt.
Der Abstecher in die Etymologie, der auch zur nahe gelegenen Rosenlaui und damit zum Rosenhorn und dem Rosenhorn-Gletscher führen könnte (die Erklärung geht hin zu den Begriffen Rosa, Ross und Rusia und eruiert daraus Gletscher, Wildbach, Rinne und macht eine Verbindung zu Flurnamen wie Monte Rosa, Rosatsch, Roseg, Rosablanche) ist das eine. Nach der Lektüre wird’s nun aber Zeit für die eigene Entdeckungsreise, auf Schusters Rappen. Oder per Velo! Wandernde finden, ab Meiringen, einen spannenden und wenig begangenen Weg hinauf zur Reutsperre (vorbei an den Reichenbach-Wasserfällen) und zur Rosenlaui-Schlucht und weiter (als Teilstück der Via Alpina) über die Grosse Scheidegg nach Grindelwald. Und für all jene Gümmeler, die nur um Haaresbreite an einer Karriere als Tourde- France-Radler vorbei gerauscht sind, ist die Strasse ab Meiringen über die Grosse Scheidegg (1500 Höhenmeter auf 15 km) sowieso ein jährlich mehrmals zu absolvierendes Muss – ab Schwarzwaldalp übrigens autofrei!
Übrigens: jetzt im Herbst ist das Gebiet um die Reutsperre ein gutes Terrain für Pilze – vorausgesetzt man kennt sich aus! Dies bestätigen auch zwei mit langjähriger Erfahrung: einerseits der oben erwähnte Emil Feuz (siehe auch NF-Wettbewerb Seite 39) und andererseits der Naturfreund, Kursleiter und amtliche Pilzkontrolleur René Merki aus Zollikofen. Dass Pilzsammler die Standorte ihrer «besten Plätzchen» indes eher nicht lauthals verkünden wollen, das dürfte einsichtig sein – oder nicht?