Aufeinander zugehen – im Interesse der Natur
Manchmal hat man den Eindruck, unsere Welt sei ein einziger grosser Konfliktherd. Staatschefs beleidigen sich, Geheimdienste bespitzeln sich, Atomwaffensperrverträge werden gekündigt, Sanktionen werden hochgefahren, Stellvertreterkriege zwischen Grossmächten zwingen Millionen von Menschen in die Flucht. Wenngleich die Dramatik in der Schweizer Politik noch ungleich kleiner ist, sieht man doch immer wieder rote Köpfe – Streit über die Beziehungen zur EU, die Flüchtlingsproblematik, die Altersvorsorge, die Rolle der Frau, die Umweltpolitik, das e-Voting, … Da frage ich mich immer wieder: gibt es noch Platz für gutschweizerische Kompromisse? Können wir noch miteinander über gesellschaftliche Probleme reden? Können wir sachlich über Ursachen, Auswirkungen und Korrekturmassnahmen diskutieren, ohne Dogmen und Feindbilder zu bemühen?
Das politische System der Schweiz schafft zum Glück gute Voraussetzungen für Kompromisse. In wenigen Staaten ist die Macht über politische Entscheide so stark verteilt. Sei es zwischen Gemeinden, Städten, Kantonen und dem Bund, sei es zwischen Stimmvolk, Parlament, Regierung und den Gerichten oder zwischen Verbänden und Parteien – kaum kann eine/r etwas entscheiden, ohne dass ihm andere dreinreden. Darum muss jede/r den anderen zuhören, wenn er etwas bewegen will. Einseitig erzwungene Entscheide haben selten lange Bestand. Die Konsequenz ist natürlich, dass immer alles etwas langsamer geht, als anderswo. Aber wenn sich einmal etwas bewegt, dann steckt auch ein Konsens dahinter, der nicht gleich beim ersten Gegenwind in sich zusammenfällt.
So deute ich auch den Entscheid der Umweltkommission des Nationalrats von Ende August: einstimmig haben die Nationalrätinnen und Nationalräte von SP, CVP, FDP, BDP, SVP, GLP und Grünen die Motion «wirksames Handeln gegen das Insektensterben» verabschiedet. Damit nahmen sie die zentralen Anliegen unserer Petition auf, welche wir Naturfreunde im letzten Herbst gemeinsam mit anderen Verbänden lanciert und im Dezember eingereicht haben.
Die Kommission reagiert damit auf die Besorgnis in der Bevölkerung über den Zustand unserer Umwelt, was die 165’512 Unterschriften der Petition deutlich belegen. Nun ist es an der grossen Kammer, dem Vorstoss sofort Folge zu geben. Klar ist, dass es dann auch griffige Gesetze und finanzielle Ressourcen braucht, damit auch reale Massnahmen entstehen, die den Insekten etwas nützen. Dank dem überparteilichen Konsens in der Kommission bin ich zuversichtlich, dass sich der Vorstoss durchsetzen wird. Das wäre dann ein echter Tatbeweis, dass es auch in der Schweizer Umweltpolitik noch Raum gibt für Kompromisse – und nicht nur für Lippenbekenntnisse.
Mit Zuversicht und einem herzlichen «Berg frei!»
Sebastian Jaquiéry, Vize-Präsident der Naturfreunde Schweiz