100 000: So schaffen wir das
Wie Mitgliedergewinnung und -bindung zusammengedacht werden können
100.000 Mitglieder – der Plan ist ambitioniert. Wie er mit vereinten Kräften gelingen kann, zeigt das Modell der „Member Journey“. Es verbindet die Konzepte der Mitgliedergewinnung und der Mitgliederbindung miteinander.
Betrachtet werden dabei alle Interaktionen eines (Neu-) Mitglieds mit einem Verband – von der ersten Wahrnehmung bis zum Jubiläum nach langjähriger Zugehörigkeit. Das Ziel ist, möglichst positive, aufeinander abgestimmte Berührungspunkte mit dem Verband zu schaffen. Dies setzt voraus, dass wir unsere Zielgruppen, aber auch unsere eigenen Mitglieder mit ihren Wünschen und Bedürfnissen kennen und durch einen Perspektivwechsel darauf eingehen können. Daher sind alle Verbandsebenen gefragt.
Hamm-Werries +49
Mehr Öffentlichkeitsarbeit
„Eigentlich haben wir gar nichts Besonderes gemacht“, sagt Udo Gonsirowski, „außer vielleicht mehr Öffentlichkeitsarbeit.“ Das war dann wohl nicht die schlechteste Idee, denn Udos nordrhein-westfälische Ortsgruppe Hamm-Werries ist in den letzten drei Jahren um 49 Mitglieder auf jetzt 170 gewachsen. Klar, da gab es auch viel zu erzählen: zum Beispiel den Bau der neuen Hütte, Aktionen der NaturFreunde-Flusslandschaft Lippe, ein Insektenprojekt, die Planung eines Wander- und Radweges. Zudem die kleinen Effekte: „Wir haben gute Kontakte zu SPD und Nabu. Daraus ergeben sich Doppelmitgliedschaften“, erzählt Gonsirowski. „Es lohnt sich auch, die Mitgliederkartei zu durchforsten und manche um eine Familienmitgliedschaft zu bitten. Überhaupt geht es um persönliche Werbung: Ich habe fast meine ganze Laufgruppe aufgenommen.“ Udos nächstes Ziel ist die Mitgliederzahl 200 – möglichst schon im kommenden Jahr. „Wir machen jetzt eine Flugblattaktion, mit der wir uns vorstellen und Mitglieder werben.“ SL
Bislang wurden Mitgliedergewinnung und -bindung meist getrennt betrachtet. Beide Ansätze zu kombinieren ist jedoch notwendig, da in unserer individualisierten Gesellschaft die früher viel selbstverständlichere „lebenslange Mitgliedschaft“ zur Seltenheit geworden ist. Engagement findet immer häufiger abhängig von Lebensphasen statt. So verkürzen sich manche Mitgliedschaften auf ein paar aktive Jahre.
Ein Verband, der wachsen will, muss daher nicht nur neue Mitglieder gewinnen, sondern auch vorhandene Mitglieder halten. Letzteres ist eine Aufgabe, die alle NaturFreundinnen betrifft. Denn hier geht es nicht nur um den Verband, sondern auch um jeden selbst, um eigene Wünsche und Anliegen.
Auf welche Weise kommen Menschen, die bislang noch gar nichts von den NaturFreunden gehört haben, erstmals mit uns in Kontakt? Um diese Frage geht es, wenn zunächst die breite Öffentlichkeit erreicht werden soll. Allgemeine Werbemaßnahmen oder breit gestreute Medienpräsenz können Interesse und Neugier erwecken. Es gibt viele Wege, auf die NaturFreunde aufmerksam zu machen. Infostände oder Demobeteiligungen mit Bannern und Fahnen sind ebenso öffentlichkeitswirksam wie klassische Pressearbeit, Plakate und Flyer. Stark unterschätzt wird weiterhin die Präsenz in den Sozialen Medien.
Eine unserer Besonderheiten sind die Naturfreundehäuser: Hier kommen Menschen zu uns, teils ohne zu wissen, wer wir sind, was wir machen und – vor allem – dass sie mitmachen können. Das können wir zu unserem Vorteil nutzen, indem wir nicht nur den Aufenthalt möglichst angenehm gestalten, sondern dieses positive Erlebnis geschickt durch die Auslage von Flyern oder durch Mitmach-Aushänge ergänzen.
Gottmadingen +41
Ausgebildete Gruppenleiter
Um gut 40 Mitglieder ist die badische Ortsgruppe Gottmadingen in den letzten drei Jahren gewachsen. Die kamen „vor allem durch die Familiengruppe, die Frauengruppe und Angebote in Trendsportarten wie zum Beispiel dem Jugendklettern“, so die beiden Vorsitzenden Daniela Preimesser und Christian Klopfer. „Wir setzen jetzt stärker auf ausgebildete Fachgruppenleiter*innen und investieren in deren Ausbildung. Das lohnt sich, neue Mitglieder kommen jetzt ohne Werbung.“ Barbara Stocker
Hat jemand von den NaturFreunden erfahren und findet unsere Aktivitäten interessant, gilt es zu überzeugen. Dies geschieht durch sorgsam zugeschnittene Ansprache und Angebote. Spätestens jetzt sollte geklärt sein, welche Zielgruppe man für die eigene Gliederung gewinnen will. Sie sollte möglichst genau benannt und ihre Interessen und Neigungen untersucht werden. Vor allem ist es wichtig herauszufinden, wo und wie diese Menschen angetroffen werden können. Der Blick auf die bestehende Mitgliederstruktur zeigt, wen man tatsächlich gewinnen kann: Wer hat ähnliche Interessen, wer könnte sich bei uns wohlfühlen? Hilfreiche Schlüsse lassen sich aus der Frage ziehen, wann die derzeitigen Mitglieder überzeugt waren, dass eine Mitgliedschaft für sie vorteilhaft sein würde.
Mit diesen Informationen lassen sich dann erfolgreiche Interaktionen gestalten. Dazu gehören heute insbesondere ein Newsletter, Social-Media-Kanäle und natürlich der Internetauftritt. Zudem natürlich Aktivitäten, an denen Interessierte unverbindlich teilnehmen können. Denn hier werden wir NaturFreunde für Außenstehende erfahrbar. Ein offener Stammtisch, eine Wanderung für alle oder ein Sportangebot auch für Nichtmitglieder machen das Vereinsleben erlebbar.
Grundsätzlich gilt: Neue Mitglieder für die NaturFreunde zu gewinnen, funktioniert am besten im direkten Gespräch. Denn nichts wirkt so stark wie eine persönliche Empfehlung oder Einladung. Viele sind nur deshalb noch nicht Natur- Freundinnen, weil sie noch nie gefragt wurden. Daher kann genau diese Frage der entscheidende Impuls bei der Mitgliedergewinnung sein.
Ist eine interessierte Person den NaturFreunden beigetreten, haben alle positiven Erfahrungen mit dem Verband eine bindende Wirkung. Dazu zählen auch vermeintliche Kleinigkeiten wie der Erhalt des Mitgliedsausweises oder die Einladung zum ersten Ortsgruppentreffen. Grundlegend ist eine herzliche Willkommenskultur, denn die ersten 90 Tage eines Mitglieds sind entscheidend. Ein „Patinnenprogramm“ erfahrener Mitglieder kann das Ankommen erleichtern.
Bielefeld +330
Aktive Mitglieder fördern
Mit 920 Mitgliedern sind die NaturFreunde Bielefeld größer als so mancher Landesverband. In den letzten zehn Jahren gab es einen Zuwachs von über 50 Prozent. „Wir hatten erst Jüngere in den Vorstand geholt und unser Programm verändert“, erzählt der Vorsitzende Gerd Weichynik. Einen richtigen Schub gab dann der geförderte Umbau unseres Naturfreundehauses. Oben gibt es jetzt eine Boulderhalle, in der auch Kurse und Treffen veranstaltet werden und durch die viele neue Mitglieder kommen.
Und unten hat die Naturfreundejugend ihr Büro. „Dieses Projekt hat uns sehr mit der Jugend verbunden“, sagt Weichynik. Parallel wurde noch eine Downhill-Mountainbike- Strecke gebaut, was ebenfalls viele junge Menschen anzog. Und das traditionelle Programm ausgebaut. „Letztlich ist es doch so: Nur aktive Mitglieder bringen neue Leute mit, da kann man noch so viel Öffentlichkeitsarbeit machen“, sagt Weichynik. „Die Aktiven muss man fördern.“ SL
Grundsätzlich sollten individuelle Erwartungen und Bedürfnisse aller Mitglieder bekannt sein und beachtet werden. Eine solche Kultur entspricht nicht nur unseren naturfreundlichen Werten, sondern steigert auch durch die Anhäufung positiver Erfahrungen die Zufriedenheit Einzelner. Beispielsweise erleichtert eine Kinderbetreuung während Gremiensitzungen Eltern die Teilnahme. Offene Strukturen und mobile Kommunikationswege entsprechen eher der Lebenswelt junger Menschen. Dank und Würdigung von Einsatz trägt zur Anerkennung Engagierter bei.
Diese wertschätzende Kultur stärkt die Gemeinschaft der NaturFreunde – ein Gut, mit dem wir zusätzlich zu unseren vielen Themen und Angeboten punkten können und uns in der Kombination von anderen Verbänden abheben. Neben der Zufriedenheit ist für eine dauerhafte Identifikation und Bindung aber auch wesentlich, dass den Mitgliedern stets der Nutzen der eigenen Mitgliedschaft klar ist: sowohl die eigennützigen Vorteile als auch der idealistische Mehrwert – von beidem haben wir einiges zu bieten.
Menschen, die von den NaturFreunden überzeugt sind, sind die besten Werbeträger*innen, insbesondere wenn es ihnen leicht fällt, auf andere zuzugehen. Wenn jedes motivierte Mitglied sich als Botschafter*in versteht, liegt die Last, neue Mitglieder zu gewinnen, nicht mehr alleine beim Vorstand oder einer Handvoll Engagierter, sondern wird von mehreren Schultern getragen.
Dass sich ein Mitglied entschließt, auszutreten, kann natürlich auch vorkommen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es ist wichtig, das Mitglied wertschätzend zu verabschieden und sich persönlich nach den Austrittsgründen zu erkundigen. Dabei geht es in erster Linie nicht darum, im Gespräch umzustimmen, sondern zu erfahren, wo Angebote verbessert werden können und wo Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Entscheidend ist, dass dem ausgetretenen Mitglied weiterhin „die Tür geöffnet bleibt“, um zurückzukehren. Und es lohnt sich, auch nach einem Austritt in den unterschiedlichen Phasen des Lebens noch einmal bei einem ehemaligen Mitglied nachzufragen. Denn wer einmal von den NaturFreunden überzeugt war und aus persönlichen Gründen wie Berufseinstieg, Familiengründung oder Umzug ausgetreten ist, ist in einer anderen Lebensphase vielleicht wieder ansprechbar und hat in Zukunft Lust, eines von 100.000 Mitglieder zu werden.
Bodensee +70
Mitgliedervorteile anbieten
Wer im Naturfreundehaus Bodensee (L 51) übernachtet, kann fast gar nicht anders als Mitglied zu werden. Der Beitritt rechnet sich schon bei wenigen Tagen Aufenthalt. „Unsere Ortsgruppe dient als schnelle Aufnahmemöglichkeit, um Mitgliedervorteile vor Ort nutzen zu können“, erklärt der Vorsitzende Hans Peter Selz. „In diesem Jahr haben wir rund 70 Personen gewonnen, wir sind jetzt über 600 Mitglieder.“
Barbara Stocker ist Referentin für Mitgliedergewinnung der NaturFreunde Deutschlands.
stocker@naturfreunde.de
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