Wenn Berge sich erheben
Nach jahrelangem Massentourismus in den Alpen findet langsam ein Umdenken statt. Ob Forscher:in, Künstler:in oder Philosoph:in – es gibt viele, die sich dem Wesen der Berge auf neue Weise annähern wollen. Sie spiegeln die kontrastreichen Ansätze einer Gesellschaft, die in dieser kritischen Zeit etablierte Werte neu definieren und aktiv nach Veränderungen suchen muss.
Wir lieben unsere Berge. Das Matterhorn, den Säntis oder Eigermönchundjungfrau verehren wir wie Nationalheiligtümer. Trotzdem gehen wir mit ihnen gar nicht immer pfleglich um. Wir bohren sie an, überbauen sie bis zu ihren Gipfeln, latschen teilweise rücksichtslos auf ihnen herum und nehmen uns von ihnen, was uns gerade passt. Vielleicht ist es deshalb an der Zeit, unsere vermeintliche Liebe zu den Bergen und unseren Umgang mit ihnen zu überdenken. Dafür kann es helfen, einmal einen radikal anderen Blickwinkel als den gewohnten einzunehmen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir mal annehmen würden, dass «unsere» Berge uns gar nicht gehören, sondern nur sich selbst? Ja, dass es gar eigenständige, lebendige Wesen sind?
Genau dies tut der Film «Bergfahrt» von Regisseurin Dominique Margot. Er nähert sich den Bergen durch alle Sinne von Menschen, die sich persönlich und/oder professionell fast täglich mit den Riesen und ihrem Innen- und Aussenleben beschäftigen. Da ist zum Beispiel die Biologin Erika Hiltbrunner, die untersucht, wie sich der Klimawandel auf die alpine Pflanzenwelt auswirkt. Aus ihrer Sicht sind hochalpine Pflanzen ziemlich viel zäher als Menschen und lachen deshalb sogar über diese. Oder Luigi Oreiller, der vierzig Jahre lang Parkwächter im italienischen Nationalpark «Il Grande Paradiso» war und in dieser langen Zeit die Sprache der Berge, Bäume und Tiere gelernt hat. Er weiss, dass jeder Berg und jeder Stein lebt und mit uns Menschen kommuniziert, wenn wir das denn wahrnehmen wollen. Und da sind die beiden ETH-Wissenschaftler Jan Beutel und Jeff Moore, die dank ihrer Messungen die rhythmischen Hin-und-Her-Bewegungen des Matterhorns zeigen und hörbar machen können, wie der Berg in seinem Inneren klingt (allein schon wegen dieser Sequenz lohnt sich der Besuch des Films!). Daneben gibt es auch noch den Glaziologen, den Tonkünstler, den Geomaten und die Bergführerin, die eigentlich auch alle sehr rational an die Berge herangehen. Am Ende ergeben jedoch all die Forschungsergebnisse, die Erfahrungen und Erlebnisse aller Protagonist:innen in ihrer Vielfältigkeit und Dichte zusammen trotz – oder wegen? – aller Rationalität das Bild eines mystischen Geschöpfs Berg, das wir eigentlich zu kennen glaubten und nun aber wissen: da ist noch so viel mehr als wir dachten und uns vorstellen können. Eben ein richtiges Wesen.