Landwirtschaft mit Zukunft
Die konventionelle Landwirtschaft war 2021 gemäss Bundesamt für Umwelt für 14,3 Prozent der Treibhausgasemissionen der Schweiz verantwortlich, trägt mit zu einem Verlust der Biodiversität bei und zu einer Minderung der Trinkwasserqualität. «Weiter wie bisher» ist deshalb keine Option, «wie weiter» jedoch eine grosse Frage, die unterschiedlich beantwortet wird. Viele Hofbetreibende sind jedoch nicht am Diskutieren, sondern haben sich bereits auf den Weg in eine Landwirtschaft mit Zukunft gemacht. Dazu gehören etwa der Permakultur Auenhof von Marcus Pan und der Lebenshof Aurelio von Beat und Claudia Troxler; beide Höfe stellen wir im Folgenden hier vor.
Permakultur – die logische Landwirtschaft
Der Bauernhof von Marcus Pan liegt auf einem sanft ansteigenden, leicht terrassierten Stück Erde bei Feldbach am Zürichsee. Diese Terrassierung wird in den folgenden Zeilen von Bedeutung sein, denn Marcus Pan bewirtschaftet seinen Hof nach den Prinzipien der Permakultur.
Bei dieser Landwirtschaftsform geht es darum, an einem bestimmten Ort mit den gegebenen Verhältnissen und den beteiligten Menschen, Tieren und Pflanzen einen Kreislauf zu schaffen, der die Bedürfnisse aller Elemente soweit möglich erfüllt, zeitlich unbegrenzt funktioniert, sich selbst reguliert und nur minimaler Eingriffe bedarf, um im Gleichgewicht zu bleiben – so die kurze und etwas komplizierte Definition. Die lange, die im Folgenden anhand der Beschreibung der Bewirtschaftung des Auenhofs durch Marcus Pan und seinem Team dargelegt werden soll, ist erstaunlich und ungewohnt, aber auch erstaunlich simpel, logisch, unaufgeregt und nachvollziehbar – und doch ein kleines Bisschen wundervoll.
Wie funktioniert sie also nun, die Permakultur-Praxis und was hat es mit der Terrassierung auf sich? Marcus Pan, der schon fast überall auf der Welt Permakultur-Projekte realisiert hat, und über ein «Diplom der Angewandten Permakultur Gestaltung» von der österreichischen Permakultur Akademie im Alpenraum – Institut für angewandte Ökopädagogik und Permakulturbildung E.R.D.E. verfügt, erklärt, wie er vorgeht, wenn er an einem neuen Ort – er hat den Auenhof 2018 übernommen – ein Projekt auf die Beine stellen will: «Zuerst schaue ich mir das Stück Land, das ich bewirtschaften will, genau an. Wie ist die Topographie? Der Verlauf der Sonneneinstrahlung? Wo hat es Wasser? Wie fliesst das Wasser über das Stück Land? Wie ist der Boden beschaffen? Welche Pflanzen und Tiere sind hier heimisch und kommen für das zu schaffende System infrage? Und lässt sich eine Struktur aufbauen, innerhalb derer die Produkte in unmittelbarerer Nähe verkauft werden können?»
Im Fall des Auenhofs hat die Analyse von Marcus Pan unter anderem ergeben, dass das Regenwasser relativ ungehindert vom höchsten zum tiefsten Punkt fliesst, auf seinem Weg von den Pflanzen nicht gut genutzt werden kann und den Humus in die Senke hinunterspült. Es galt also, diese Fliessbewegung zu stoppen. Deshalb sind die Felder des Auenhofs den Höhenlinien der Terrassierung des Geländes entlang angelegt. Auf den höchsten Punkten jeder Linie wurden in bestimmten Abständen Bäume oder Hecken gepflanzt, die das Wasser mit ihren Wurzeln aufhalten und es so anderen Pflanzen zur Verfügung stellen können. Zudem bewirken die Bäume, dass der Boden rund um sie herum zusätzlich feucht bleibt, indem ihr Schatten die Verdunstung des Wassers verlangsamt. Die Wahl der Bäume richtete sich nach den Sonnenständen. Fruchtbäume, die viel Sonne brauchen, stehen an den exponierten Lagen, andere im Halbschatten oder Orten, die die Sonne nicht den ganzen Tag bescheint.
Landwirtschaft nach den Prinzipien der Permakultur
Ein weiteres wichtiges Prinzip der Permakultur, das Pan auch auf dem Auenhof umsetzt, sind Pflanzengemeinschaften. Man kombiniert ein- und mehrjährige Pflanzen (Gemüsepflanzen, Kräuter und Wildpflanzen), die den Boden unterschiedlich beanspruchen, schafft Nachbarschaften, die einander guttun, beispielsweise weil die eine Pflanze mit ihrem starken Duft bestimmte sogenannte Schädlinge von ihrer Nachbarin fernhält und berücksichtigt Büsche und Stauden, die dem Boden etwas «zurückgeben», das er braucht, wie etwa Stickstoff, oder ihn auflockern. Die Felder des Auenhofs, die eher wie lange, breite Beete aussehen, sind umgeben von Wiesen und Magerwiesen. So werden Insekten angezogen, die für die Bestäubung der Blüten sorgen, und das Gras wird nach dem Mähen als Mulch auf die Beete gelegt, wodurch die Nährstoffe wieder in den Boden gelangen.
Ist eine solche Pflanzen- und Biodiversitätsgemeinschaft einmal gebildet, gebe Landwirtschaft nach der Methode der Permakultur nicht mehr sehr viel zu tun, erklärt Marcus Pan. «Wir schaffen ein System, in dem der Boden von den Pflanzen und den Kleinstlebewesen, die in dieser natürlichen Umgebung gut leben können, genährt und gelockert wird. Der Humus wird dabei sogar aufgebaut und nicht weniger, wie in der konventionellen Landwirtschaft. Dadurch, dass wir keine Monokulturen schaffen und beispielsweise einjähriges neben mehrjährigem Gemüse wächst, müssen wir nicht jeden Frühling alles neu umgraben und bestellen. Wir sparen uns dadurch viel Arbeit, haben stets fruchtbare Böden und reiche Ernten, die sich gut über die Saison verteilen.» Das erste und wichtigste Prinzip der Permakultur sei, dass kein landwirtschaftlicher Betrieb dem Land mehr Nährstoffe, Wasser und Energie entnehmen dürfe, als er zurückgebe, so Pan. So gut wie alles, was der Hof benötige, werde hier produziert – unter Einbezug der gegebenen Verhältnisse. Ein kostengünstiges System, in dem ein Permakulturhof rasch selbsttragend werden kann.
Braucht es in der Permakultur trotzdem noch Dünger? «Chemische Düngemittel sind in der Permakultur tabu. Kompost jedoch ist ein hervorragender Dünger und eine weitere Methode, den Nährstoffkreislauf auf der Fläche des Hofs zu schliessen. Und dann haben wir noch unsere fleissigen tierischen Mitarbeiter, die uns bei der Arbeit unterstützen und dabei den Boden düngen», berichtet der Landwirt. Auf dem Auenhof leben neben anderen Tieren auch Sperber- und Schweizerhühner, zwei alte Rassen, deren Erhaltung im Falle der Sperberhühner gefährdet ist. Dann und wann dürfen die Hühner auf dem Auenhof aus ihrem Gehege hinaus und über die Felder streifen. Dabei lockern sie beim Scharren den Boden und düngen ihn mit ihrem Kot. Geschlachtet werden auf diesem Hof keine Tiere. Denn ein weiteres Prinzip der Permakultur sei der Grundsatz, dass allem Leben das ihm innewohnende Recht auf Wohlergehen zugestanden werde, so Pan.
«Zurück zur Natur»
Der Auenhof ist als «Solidarische Landwirtschaft» organisiert. Dabei produziert ein Hof quasi auf Bestellung, weil die Verbraucher:innen mit dem Abschluss beispielsweise eines Gemüseabos eine Abnahmegarantie für die Produkte geben. So ist garantiert, dass keine Überschüsse produziert werden, die schlimmstenfalls vernichtet werden müssen. Die Konsument:innen leben in der Nähe des Hofs, sodass die Produkte keine lange, energieintensive Reise durchmachen müssen und bei Interesse auch soziale auch Kontakte zwischen den Bewirtschaftenden des Hofs und den Verbraucher:innen zustande kommen können.
Im Grunde macht Permakultur also nichts anderes, als sich konsequent mit ihren Prinzipien und ihrer Wirtschaftsweise an der Natur zu orientieren. Regionalität, Saisonalität, Nährstoffkreisläufe, Biodiversität – die Permakultur imitiert, was die Natur immer schon erfolgreich praktiziert. Das macht sie zu einer äusserst erfolgreichen Bewirtschaftungsform mit hohen Erträgen und ohne «versteckte Nebenkosten» durch ausgelaugte Böden und verseuchtes Trinkwasser. Eigentlich logisch, simpel und unaufgeregt und doch ein kleines Bisschen wundervoll, wie die Natur halt eben ist.
Und was fasziniert den Fachmann an dieser Wirtschafts- und Lebeweise? «Achtsamer Umgang mit der Erde und mit den Menschen sowie gerechtes Teilen, das sind die Ideen, auf denen die Permakultur aufbaut. Wer sich danach richtet, kann im Grunde genommen mit einfachen Mitteln ein System erschaffen, in dem die Menschen mit der Natur im Einklang leben. Ich erlebe viele Menschen, die ‹zurück zur Natur› möchten. Die Permakultur ist eine Antwort darauf.»
Der Auenhof ist auch ein Ausbildungshof. Hier können Menschen lernen, funktionierende Permakultur-Systeme zu planen, diese aufzubauen und weiterzuentwickeln, sowie essbare und nahrhafte Permakultur-Gärten und Landschaften zu stabilen und zukunftsfähigen Ökosystemen zu gestalten. Alle Kurse, Workshops und Praktika auf dem Auenhof finden sich hier.
Der vegane Bauernhof – zum Wohl der Tiere
Ochs Pablo ist ein bisschen eine Rampensau – also auf die sympathische Art. Immer zuvorderst und immer der erste, wenn es etwas zu gucken gebe, erzählt Claudia Troxler. Dass Pablo noch lebe, verdanke er einem glücklichen Zufall, berichtet Claudia Troxler weiter. Ein Vater habe beim Spaziergang mit seiner Tochter die Geburt des kleinen Pablo auf einer Weide beobachtet. Er fragte den anwesenden Bauern, was denn nun mit dem Kälbchen geschehe. Es werde einige Monate lang gemästet und dann geschlachtet, erklärte dieser die übliche Praxis, die männliche Kälber auf Milchviehbetrieben erwartet.
Das fanden Vater und Tochter sehr traurig. Deshalb lebt Pablo, der heute ein ausgesprochen hübscher und ausgesprochen neugieriger ausgewachsener Ochse ist, nun auf dem Bauernhof von Beat und Claudia Troxler im luzernischen Büron. Für seinen Unterhalt kommt zu einem grossen Teil der spazierende Vater von damals auf. Einen «Nutzen» erfüllt Pablo nicht. So wie alle Tiere auf dem Hof der Troxlers. «Nutztiere» gibt es hier nur noch als Begriff aus einer anderen Welt, nicht aber als lebendes Konzept. Denn der Hof der Troxlers ist ein sogenannter Lebenshof. Hier dürfen alle Tiere leben bleiben und alle nach ihrer Façon. Das bedeutet beispielsweise, dass Felix und Nala, die beiden Schweine, sich im Dreck suhlen dürfen, wenn ihnen danach ist, dass alle Kälbchen bei ihren Müttern aufwachsen, wie die Natur es gewollt hat, und dass die Hühner – wenn nicht gerade die Vogelgrippe grassiert – frei herumlaufen und scharren und picken können, wo sie Lust haben. Und das scheint aufzugehen, die Stimmung unter der tierischen Belegschaft ist augenscheinlich gut auf diesem Betrieb; alle machen einen gepflegten, gesunden und zufriedenen Eindruck. Doch Wohlverstanden: Auf dem Lebenshof Aurelio, wie die Troxlers ihren Bauernhof nennen, kommen keine neuen Tiere mehr auf die Welt. Die, die hier leben, verbringen hier ihr Leben und ihren Lebensabend – egal wie lange dieser dauern wird. Darunter sind die Tiere, die schon vor der Umstellung auf diesem Hof lebten sowie weitere, die von anderen Menschen vor dem Schlachthof gerettet wurden und hier ein Plätzchen erhalten haben.
Das Leid der Nutztiere
So frivol ging es nicht immer schon zu auf dem Hof von Beat Troxler, den er 2014 von seinen Eltern übernommen und später auf Bio umgestellt hatte. Damals war er noch Schweinemäster und betrieb Milchwirtschaft. Die Schweine wurden im Alter von sechs Monaten geschlachtet, die Kälber unmittelbar nach der Geburt von den Müttern getrennt und deren Milch verkauft, bevor sie zwei bis drei Monate später erneut besamt wurden. Ein Kreislauf und eine Wirtschaftsweise, mit der er aufgewachsen sei und die er lange nicht hinterfragt habe, so der Landwirt. Erst als sich Claudia in Schwein Felix verliebte und ihn vor dem Schlachthof retten wollte, darüber Beat kennenlernte und sich auch in ihn verliebte und 2015 zu den beiden auf den Hof zog, begann nach und nach zuerst in den Köpfen und später Schritt für Schritt ganz konkret die Umstellung auf die heutige Wirtschaftsweise des Lebenshofs.
Durch die Ohren von Claudia hörte Beat auf einmal die neugeborenen Kälber und ihre frischgebackenen Mütter ganz anders und viel leidvoller tagelang nach einander muhen. Und sah durch die Augen von Claudia die Schweine in ihren kleinen Boxen plötzlich nicht mehr artgerecht gehalten. Denn eigentlich wusste er ja schon damals, dass Schweine intelligente, soziale Wesen sind, die einen grossen Bewegungsdrang haben und eine Lebenserwartung von etwa 15 Jahren und nicht sechs Monaten.
«Wir wachsen mit dem Selbstverständnis auf, dass Hühner, Schweine und Kühe ‹Nutztiere› sind. Um sie als etwas anderes zu sehen, muss man sich Gedanken darüber machen, ob es richtig ist, zwischen Wild-, Haus- und Nutztieren zu unterscheiden. Es würde ja hierzulande auch niemand auf die Idee kommen, Hundewelpen zu schlachten und zu essen. Warum darf man das denn mit Kälbern tun?», so die Sicht von Claudia Troxler, die mittlerweile Vollzeit im Landwirtschaftsbetrieb mitarbeitet. «Für mich war schon lange klar, dass man Tiere weder schlachten noch nutzen sollte, sondern sie leben lassen soll, einfach weil sie Lebewesen sind mit Gefühlen und Empfindungen wie wir sie haben», erklärt die gelernte Detailhandelsangestellte ihre Weltanschauung. «Ich ernähre mich deshalb auch schon lange vegan und davor vegetarisch.»
«Die meisten Leute wissen nicht, wie ‹Nutztiere› gehalten werden und wie stark sich die Lebensweise, die die Menschen ihnen aufzwingen, von ihren natürlichen Bedürfnissen entfernt hat. Begleitet wird das durch körperliche Veränderungen durch Zucht, unter denen viele Tiere leiden», weiss Beat Troxler. Es ist den beiden deshalb ein grosses Anliegen, mit ihrem Lebenshof auch Wissen über Tiere und über Nutztierhaltung zu vermitteln. Deshalb führen sie regelmässig Hofführungen durch, bei denen sie Interessierten ihr Konzept des Lebenshofs vorstellen und dabei erklären und begründen, weshalb dieses aus ihrer Sicht das richtige ist für ihre Tiere.
«Bauern sollen Lebensmittel produzieren»
Doch wie finanziert sich ein Lebenshof? Einerseits durch Spenden und Patenschaften für die Tiere, d. h. Interessierte finanzieren die Haltung oder einen Teil der Haltung eines oder mehrerer Tiere für eine vereinbarte Zeitdauer, und andererseits erhalten Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz auch einen gewissen Betrag an Direktzahlungen für Tiere, auch wenn diese nicht ‹genutzt› werden. Beat und Claudia Troxler betreiben ausserdem noch Ackerbau, kultivieren Äpfel und produzieren Produkte für ihren Hofladen. Und sie lassen sich gerne auch immer wieder etwas Neues einfallen, das sie auf ihrem Landwirtschaftsbetrieb produzieren können, denn «Bauern und Bäuerinnen sollen Lebensmittel produzieren. Das war schon immer so und soll auch so bleiben», fasst Beat Troxler seine Einstellung zusammen, «doch es müssen keine tierischen Lebensmittel sein und es soll kein Tier dafür leiden müssen.»
Wie ist eigentlich die Umstellung von Milchwirtschaft und Schweinemast auf Lebenshof beim privaten Umfeld der beiden angekommen? «Meine Eltern sind sehr offen und tragen unser Konzept heute mit, auch wenn sie nur noch sporadisch mitarbeiten. Mit meinen Bauern-Kollegen und Kolleginnen, von denen die meisten anders arbeiten, diskutiere ich viel über unsere Art der Hofbewirtschaftung, aber alle respektieren, was wir tun und sind interessiert daran», berichtet Beat Troxler. Und Claudia Troxler ergänzt: «Wir machen hier, was sich für uns richtig anfühlt. Wenn jemand einen anderen Weg geht, respektieren wir das selbstverständlich. Aber wir teilen auch gerne unsere Erfahrungen, wenn jemand sich dafür interessiert, ein ähnliches Konzept umzusetzen.»
Weitere Informationen über den Lebenshof Aurelio, die dortigen Hofführungen und Tierpatenschaften finden sich hier: lebenshof-aurelio.ch