Impuls des Co-Präsidenten
Liebe Leserin, lieber Leser Ich bin in den 80er und 90ern in Pratteln aufgewachsen. Zuerst bewohnten wir ein ehemaliges Bauernhaus im Dorfkern, 1990 zogen wir an […]
Liebe Leserin, lieber Leser
Ich bin in den 80er und 90ern in Pratteln aufgewachsen. Zuerst bewohnten wir ein ehemaliges Bauernhaus im Dorfkern, 1990 zogen wir an den Rand der Industriezone. Unser Haus stand zwischen den Bahngeleisen der Strecken Basel–Olten und Basel–Rheinfelden. Gelegentlich trug der Wind Klopapier der SBB in unseren Garten. Aber immerhin war die Miete erschwinglich.
Eine weitere Besonderheit von «Pratteln-Nord» war der hohe Ausländeranteil: Im kleinen Wohnblock, der schräg gegenüber lag, war Frau Meier die Einzige, die fliessend Deutsch sprach. Die übrigen Mieter stammten mehrheitlich aus dem Balkan und waren wohl gerade erst in die Schweiz gekommen.
Blicke ich heute zurück, bin ich schockiert, wie weit entfernt ich von diesen Menschen lebte, obwohl sie meine Nachbarinnen waren. Von den Kindern habe ich mit keinem je gespielt, kannte keines mit Namen. Sie hatten nicht dieselben Hobbys, gingen nicht in dieselbe Schule und später auch nicht in die gleichen Bars. An meiner Schule waren ausländerfeindliche Witze keine Seltenheit. Auch nach zehn Jahren im Quartier hatte ich keinen einzigen Freund «mit Migrationshintergrund». Wir lebten in verschiedenen Welten, direkt nebeneinander.
Heute wohne ich im Kosovo, dem Land aus dem seit den 90ern tausende Menschen in die Schweiz geflohen oder ausgewandert sind. Fast alle Kosovaren, die ich hier kennenlerne, sind unternehmerisch, intelligent und weltoffen. Und fast jede/r fragt mich, woher ich komme. Auf die Antwort folgen dann meist Anekdoten über eigene Reisen oder Lebensjahre in der Schweiz oder über Freundinnen und Verwandte, die dort leben. Am Schulfest meiner Kinder betrieb eine Kosovarin, die Jahrzehnte in der Schweiz verbracht hatte, den «Schweizer Tisch» und verteilte Raclette-Käse aus dem Wallis. Die Rezeptionistin in meiner Albanisch-Schule hat ihre ganze Kindheit in der Schweiz verbracht. Obwohl sie mit 19 Jahren ausgewiesen wurde, ist sie auch heute noch voll des Lobs über die Schweiz.
Jene Kosovaren, die schon in der Schweiz waren, lieben die Schweiz. Sie schätzen die Sauberkeit, die Gesetze und Behörden, die Schulen. Und natürlich auch die Chance, mit harter Arbeit einen fairen Lohn verdienen zu können. Auch wenn ich noch längst nicht alle Facetten der Kultur hier durchschaut habe: dem Bild, das ich als Jugendlicher von Kosovarinnen hatte, entsprechen sie nicht.
Wirklich überraschend ist das ja nicht, wenn man erst mal darüber nachdenkt. Und trotzdem schockiert es mich ein wenig, wie tief solche Klischees und alte Vorurteile sogar in mir selbst sitzen. Daraus reift aber auch eine positive Erkenntnis, die mir in der aktuellen Zeit besonders wertvoll erscheint, wo Politik und Medien nur allzu oft auf die Unterschiede innerhalb und zwischen unseren Gesellschaften hinweisen: oft trennen uns nur vermeintlich Welten von unseren Nachbarn. Meistens würde es sich lohnen, sie näher kennen zu lernen. Denn nur wenn man sich kennt, können Fremde zu Freundinnen werden.