Winterschlaf in Zeiten des Klimawandels
Der Winterschlaf, den einige Tiere in der kalten Jahreszeit halten, ist eine faszinierende Einrichtung der Natur, die die Wissenschaft noch immer vor diverse Rätsel stellt. Unbestritten ist hingegen, dass der Klimawandel die verschiedenen Winterschlafgewohnheiten verändert.
Hört man den Ausdruck «Winterschlaf», stellt man sich unwillkürlich eine warme, gemütliche Höhle vor, in der man friedlich wartet, bis der kalte, unwirtliche Winter vorüber ist. Und wird – als sommerliebender Mensch – fast ein wenig neidisch, den Kelch mit der kalten Jahreszeit drin nicht auch auf diese Weise an sich vorübergehen lassen zu können.
Doch diese Vorstellung ist in mehrerer Hinsicht falsch. 1. Tiere, die Winterschlaf halten, schlafen nicht, sondern sind in einem Zustand, der eigentlich dem Tod näher ist als dem Leben. 2. In der Höhle oder im Bau ist es nicht gemütlich warm, sondern je nach Tier zwischen einem und zehn Grad Celsius kalt. 3. Der Winter geht nicht friedlich vorüber, sondern zehrt in den meisten Fällen massiv am Körpergewicht und -fett der Tiere.
Siebenschläfer halten einen Winterschlaf von durchschnittlich 8 Monaten und wachen dabei immer wieder auf, jedoch nicht um zu fressen, sondern um die Körpertemperatur zwischenzeitlich zu erhöhen. Diese wird während des Schlafs auf 5 bis 7 Grad gesenkt und die Herzfrequenz von 350 auf 8 Schläge pro Minute reduziert. In Jahren, in denen Buchen und Eichen keine Mastjahre haben, verbringen Siebenschläfer auch die warme Jahreszeit mehrheitlich unter der Erde und können dabei Rekorde von bis zu 11 Monate Winterschlaf aufstellen.
Überraschen mag vielleicht auch, dass es neben den gemeinhin bekannten einheimischen Winterschläfern zudem einige Vögel und Primaten gibt, die ebenfalls Winterschlaf halten, und dass es das Pendant zum Winterschlaf auch im Sommer gibt. Einen Sommerschlaf halten etwa gewisse Schnecken, Reptilien, Amphibien und Fische, wenn es für sie zu warm wird oder Trockenheit das Nahrungsangebot verknappt.
Nicht als Winterschlaf gilt hingegen die Winterstarre, in die viele Reptilien, Amphibien und Fische, aber auch Schnecken und aller Arten Käfer und Insekten fallen. In der Winterstarre kann die Körpertemperatur nicht mehr geregelt werden, sondern passt sich der Umgebungstemperatur an. Diese Tiere haben alle einen bestimmten Trick, um Minustemperaturen zu überstehen. So sind etwa Marienkäfer durch das körpereigene Frostschutzmittel Glycerin vor dem Kältetod geschützt.
Igel halten einen 6-monatigen Winterschlaf und drosseln dabei ihren Stoffwechsel auf 1 bis 2 % des normalen Grundumsatzes. Sie atmen statt 40- bis 50-mal noch 1- bis 2-mal, das Herz schlägt statt 200 noch 5-mal pro Minute. Die Körpertemperatur sinkt von 36 auf 8 Grad Celsius. Werden die Tiere im Schlaf gestört oder sinkt ihre Körpertemperatur zu sehr ab, wärmen sie sich mithilfe ihres Fetts auf 30 Grad auf und verlassen mitunter ihren Schlafplatz. Geschieht das zu oft pro Winter, kann es für die Tiere tödlich werden, weil sie die verbrauchte Energie mangels Nahrungsangebot nicht kompensieren können.
Alles folgt der inneren Uhr
Als Auslöser für den Winterschlaf gelten nach aktuellem Stand der Forschung nicht in erster Linie tiefe Temperaturen und Nahrungsknappheit, sondern die kürzer werdenden Tage, die eine Umstellung des Hormonhaushalts zur Folge haben und die innere Uhr der Tiere, die für die Bildung von Fettdepots im Körper mitverantwortlich ist. Von Hamstern weiss man, dass sie während des Winterschlafs die innere Uhr anhalten können.
Während man früher zwischen Winterruhe und Winterschlaf unterschieden hat, spricht man heute in der Wissenschaft nur noch von Winterschlaf. Weil Braunbär und Dachs ihre Körpertemperatur im Winterschlaf nicht so weit senken wie andere Winterschläfer, hat man für ihren Schlaf den Begriff «Winterruhe» verwendet, weil man annahm, dass er weniger tief sei. Heute weiss man, dass die hohe Körpermasse und das dicke Fell dafür verantwortlich sind, dass die Körpertemperatur nur gering absinkt. Der Verlauf ihres Schlafs und vor allem die Stoffwechselvorgänge unterscheiden sich jedoch nicht von denen kleinerer Winterschläfer.
Fledermäuse halten einen 5-monatigen Winterschlaf. Dafür legen sie im Herbst 20 bis 30 Prozent an Gewicht zu. Den Winterschlaf verbringen sie in Höhlen, in denen es nicht kälter wird als 1 bis 2 Grad. Sinkt die Umgebungstemperatur unter den Gefrierpunkt, brauchen die Tiere ihre Fettreserven im Schulter- und Nackenbereich zum Aufwärmen. Werden sie im Schlaf gestört, wachen sie langsam und energiezehrend auf. Dafür benötigen sie zwischen 30 und 60 Minuten. Während des Schlafs verlangsamen sie Herzschlag und Atmung um das 40-fache, die Körpertemperatur beträgt noch 3 bis 5 Grad Celsius. Während eines durchschnittlichen Winterschlafs ohne Störungen verlieren die Tiere 30 % ihres Gewichts.
Immer wieder aufwärmen
Winterschlaf heisst in der Forschung englisch «Hibernation» und meint «generell den Zustand der Anpassung des Energieverbrauchs von Tieren an ein eingeschränktes Nahrungsangebot oder veränderte klimatische Verhältnisse. Die Einsparung der Energiekosten im Winterschlaf beträgt ungefähr 80 Prozent», so das vetmed 4/2021. Den physiologischen Zustand, in den der Körper der Tiere während des Schlafs gerät, nennt man «Torpor». Im Torpor werden Stoffwechselprozesse und Körperfunktionen wie Herzschlagrate, Atmung oder Körpertemperatur auf ein Minimum gesenkt. In dieser Phase haben die Tiere sogar zu wenig Energie, um zu schlafen. Murmeltiere etwa liegen mit offenen Augen in ihrem Bau. Damit der Winterschlaf nicht zu einem einzigen, grossen Schlafmangel führt, und weil «es sich kein winterschlafendes Tier erlauben kann, seinen Stoffwechsel über mehrere Monate durchgehend abzuschalten, das bisher gefundene Maximum sind sieben Wochen», so die Forscherin Claudia Bieber im vetmed 4/2021, werden Torpor-Phasen in regelmässigen Abständen von «Arousal» genannten Wärmephasen unterbrochen. In diesen erreicht die Körpertemperatur der Tiere fast Normalwert. Die Funktion der Arousals ist noch Gegenstand der Forschung. Aktuell geht man davon aus, dass die Arousal-Phasen für verschiedene Körperfunktionen wie eben Schlaf oder den Abbau von Stoffwechselprodukten benötigt werden.
Warum die Tiere im Frühling aus ihrem Winterschlaf erwachen, ist noch nicht abschliessend geklärt. Mögliche Erklärungen sind unter anderen die zunehmende Anreicherung von Stoffwechselprodukten, steigende Umgebungstemperaturen, Hormonausschüttungen und – wiederum – die innere Uhr.
Dass die Organe der Winterschläfer den energetischen Ausnahmezustand relativ unbeschadet überstehen, gilt heute noch als Wunder und kann wissenschaftlich noch nicht letztlich erklärt werden.
Rothirschen steht in der Regel während des Winters weniger Nahrung zur Verfügung. Sie bleiben zwar wach, verfügen aber über Möglichkeiten, ihren Energiebedarf während dieser Zeit zu reduzieren. Dafür verkleinern sie ihren Verdauungstrakt um 20–25 %, reduzieren den Herzschlag und die Körpertemperatur. Ihr durchschnittlicher Puls liegt im späten Winter um bis zu 60 % niedriger als im jährlichen Maximum Anfang Juni. Wird es im Spätwinter nochmals richtig kalt und schwinden gleichzeitig die Fettreserven der Tiere immer mehr, können die Hirsche die Durchblutung ihrer Gliedmasse und der äusseren Teile des Rumpfes für max. 9 h nochmals drosseln und dadurch 13–17 % Prozent Energie einsparen. Diese Sparmassnahme leiten die Rothirsche aber nur ein, wenn sie sich sicher fühlen. Denn in dieser «Winterstarre» ist die Flucht nur eingeschränkt möglich. Bei jeder Flucht müssen sie den Stoffwechsel aus dem Sparmodus innert kürzester Zeit auf Hochtouren bringen. Dadurch sind die Auswirkungen von Störungen in der Winterzeit für Rothirsche sehr schwerwiegend.
Winterschlaf in Zeiten des Klimawandels
«Wärmere Temperaturen verändern ihr Überwinterungsverhalten», schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom United States Geological Survey zum Abschluss einer Studie an 51 Schwarzbären Anfang 2018. «Die Dauer der Ruhezeit verkürzt sich. Wir erwarten, dass es deshalb mehr Konflikte zwischen Menschen und Bären geben wird.» Zu einem Konflikt kam es im März 2019 in Engelberg zwar nicht, aber vermutlich zu grossen Augen bei den beiden Mitarbeitern des Pistendienstes, die beim Einsammeln von Stangen auf einer Piste an diesem Morgen ein Stück weiter oben einen Bären in aller Ruhe durch den Firn trotten sahen.
Braunbären halten je nach Umweltbedingungen einen bis zu 7-monatigen Winterschlaf mit Unterbrechungen, nachdem sie sich genügend Fettreserven angefressen haben. Beim Schlafen reduzieren sie ihren Stoffwechsel um 75 % und senken ihre Körpertemperatur von 37 um 4 oder 5 Grad Celsius ab. Im Januar bringen Weibchen 1 bis 2 Jungbären zur Welt. Aus der Forschung mit amerikanischen Schwarzbären ist bekannt, warum Bären im Winterschlaf ihre Muskelmasse bis auf 23 % erhalten können (Menschen würden bei gleichlanger Liegezeit 90 % ihrer Muskelmasse verlieren). Verantwortlich dafür sind zwei Faktoren: 1. Bären trainieren ihre Muskeln auch im Winterschlaf durch 4-mal-tägliches Zittern und Anspannen. 2. Führen sie ihren Muskeln Proteine zu. Dafür wird aus dem Harnstoff Stickstoff abgespalten und daraus Eiweisse produziert, die in die Muskeln gelangen.
Eine ähnliche Beobachtung machte Wildtierzoologin Karine Pigeon im kanadischen Alberta, wo sie zusammen mit einem Team zwischen 1999 und 2011 das Winterschlafverhalten von 15 männlichen und 58 weiblichen Grizzlybären erforschte. Die untersuchten Bären verkürzten ihren Winterschlaf vor allem deshalb, weil das Nahrungsangebot aufgrund der wärmeren Temperaturen im Herbst wie auch im Frühling grösser ist. Die Forschenden äusserten abschliessend die Befürchtung, dass auch Weibchen mit Jungen ihre Höhle früher verlassen könnten und die kleineren und verletzlicheren Jungtiere Opfer von anderen Bären oder Menschen werden könnten.
Und auf der russischen Inselgruppe Nowaja Semlia im Nordpolarmeer kam es 2019 zu einer regelrechten Invasion von Eisbären in Beluschja Guba, der Hauptsiedlung der Inselgruppe. Die Bären versuchten während mehrerer Wochen, sich Zutritt zu Häusern zu verschaffen und griffen auch Menschen an. Angelockt wurden die Tiere jedoch auch von Abfällen, die in den Siedlungen herumlagen.
Ein kürzerer oder unterbrochener Winterschlaf wird aber nicht nur bei Bären beobachtet, sondern beispielsweise auch bei Igeln, verschiedenen Mausarten, Murmeltieren und Insekten.
Eichhörnchen halten einen 6- bis 7-monatigen Winterschlaf mit zahlreichen Unterbrechungen. Da sich die Tiere keine Fettschicht anfressen können, verstecken sie ihre Nahrung für den Winter (Nüsse, Buchecken, Eicheln; bis zu 10 000 Stück) an verschiedenen Orten. Gemäss Schätzungen verbleiben von diesen Vorräten 25 bis 75 % im Boden und tragen damit zur Waldentwicklung bei. Um sich besser an die Verstecke erinnern zu können, legen die Tiere für jede Nuss-Art ein eigenes Lager an. Eichhörnchen unterbrechen ihren Winterschlaf auch für die Paarung, die bis 6 Jungen kommen zwischen März und August zur Welt.