Der lange Kampf für die Windenergie
Der Ausbau von Windenergieanlagen kommt in der Schweiz nur schleppend voran. Das hat vor allem mit dem teils heftigen Widerstand der Bevölkerung und sehr langen Fristen zu tun. Wie das in einem konkreten Fall ablaufen kann, haben wir von Nationalrätin Priska Wismer-Felder erfahren.
Der Stierenberg an der Grenze zwischen der Luzerner Region Sursee und dem Aargauer Seetal ist ein beliebtes Ausflugsziel mit viel Sonne und frischem Wind für Wanderinnen, Hündeler, Bikerinnen und Brätelfreunde. Auf 850 Metern Höhe hat man eine schöne Rundumsicht über diesen Teil des Mittellandes an der Grenze zu den Voralpen.
An der Luzerner Bergflanke des Stierenberg oberhalb des Dorfes Rickenbach betreibt Priska Wismer-Felder zusammen mit ihrer Familie und Angestellten einen Landwirtschaftsbetrieb mit Milchkühen und Muttersauen. Die Mitte-Nationalrätin hat schon vor vielen Jahren erkannt, dass die Lage ihres Hofes nicht nur wunderschön, sondern energietechnisch auch äusserst wertvoll ist. In drei Etappen zwischen 2009 und 2018 liessen Wismer-Felders deshalb auf ihren grossen Gebäudedächern Solarpanels montieren, die heute im Schnitt jährlich insgesamt 100 000 Kilowattstunden Strom produzieren. 50 000 Kilowattstunden pro Jahr werden von Haus und Hof selbst benötigt, der Rest wird ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Die Anlagen haben sich trotz hoher Investitionskosten dank der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) gelohnt. Zudem haben sie den Ehrgeiz der Familie geweckt. «Es hat uns fasziniert, wie ‹einfach› aus erneuerbaren Energiequellen Strom produziert werden kann. Wir haben unterdessen auch ein Elektroauto, das wir grösstenteils mit eigenem Strom laden», erklärt Priska Wismer-Felder.
Die perfekte Ergänzung
Zur selben Zeit, als Wismer-Felder Erfahrungen mit ihrer Solarstromanlage sammelte, wurde sie durch einen Windmessmasten in Sichtweite ihres Hofes auf die Windenergie aufmerksam. Familie Wismer entschloss sich, Windmessungen auf dem Stierenberg zu machen. Diese Messungen während 14 Monaten ergaben laut Bundesamt für Energie, dass die Region Stierenberg ein «Gebiet mit hohem Windpotenzial» ist.
Damit schien unverhofft das Puzzleteil gefunden, das Wismer-Felders Solaranlage an dieser Lage optimal ergänzen könnte. Denn diese teilt mit vielen anderen Solaranlagen dieser Welt das Schicksal, nachts und im Winter weniger Energie produzieren zu können und überschüssige Energie nur mit hohem Verlust speichern zu können. Strom aus Windenergie passt exakt in diese Nacht- und Winter-Lücken, weil der Wind zu diesen Zeiten am stärksten weht.
Und so entschlossen sich Priska Wismer-Felder und ihr Mann Roland vor sieben Jahren, das Projekt «Windpark Stierenberg» in Angriff zu nehmen, von dem sie heute sagen: «Zum Glück wussten wir nicht, worauf wir uns damit einlassen, sonst hätten wir den Mut vielleicht nicht gehabt.»
Hier kämen sie zu stehen, die Stierenberger Windräder.
(Diese Darstellung ist eine Illustration und entspricht nicht den tatsächlichen Grössenverhältnissen.)
Die Idee des Projektes ist, auf dem Stierenberg abseits der Wohngebiete drei Windräder, eines auf der Wiese, zwei im Wald, aufzustellen, die Strom für etwa 4600 Haushalte produzieren würden. Die Trägerschaft sollen Privatpersonen und KMU sein. Private könnten sich ab 500 Franken am Windpark beteiligen und als Mitinhaberinnen und Mitinhaber von allfälligen Erträgen profitieren.
Fünf Jahre lang ging mit dem Projekt «Windpark Stierenberg» alles gut. Nach der Gründung eines Unterstützungskomitees und dem Sammeln von Darlehen starteten die umfangreichen Umweltverträglichkeits-Abklärungen, die bei einer Anlage dieser Grössenordnung Vorschrift sind. Dabei wird etwa untersucht, ob die Windräder die Biodiversität und das Grundwasser der Umgebung beeinträchtigen würden, ob militärische oder zivile Flugbewegungen tangiert wären, mit welchen Lärmemissionen zu rechnen ist und in welchem Ausmass Vogelzüge und einheimische Vögel von der Anlage betroffen sein könnten.
Keine Entwertung von Immobilien
Insgesamt erhielt das Projekt nach diesen Abklärungen gute Noten. Es war nun klar, wann die Räder jeweils wegen jagender Fledermäuse abgeschaltet werden müssten, dass sie neun Stunden pro Jahr wegen Schattenwurf pausieren sollten und dass die Zugvögel den Stierenberg rechts und links umfliegen und nicht oben drüber – also nicht im Einzugsgebiet der Rotorblätter – im Gegensatz zu den lokalen Vögeln, bei denen Kollisionen erwartet werden. Biodiversität und Grundwasser hingegen würden nicht beeinträchtigt.
Trotz dieser positiven Bewertungen erwachte vor zwei Jahren der Widerstand in der Bevölkerung – darunter viele Auswärtige – und im Verband Freie Landschaft Schweiz. An einem Podiumsgespräch Anfang 2020 sollten im Hinblick auf die Abstimmung über die Umzonung des Areals für den geplanten Windpark offene Fragen geklärt werden.
Dabei liess sich ein harter Kern von Gegnerinnen und Gegnern nicht von gesicherten Fakten überzeugen. Die grösste Angst galt dabei einer etwaigen Abwertung von Immobilien. Eine Schweizer Studie zeigt gemäss Wismer-Felder jedoch, dass «bei Gebäuden und Grundstücken in der Nähe von Windenergieanlagen in der Schweiz keine Entwertung nachgewiesen werden konnte.»
Eine weitere Befürchtung gilt der Beeinträchtigung des Grundwassers im betroffenen Gebiet, obschon die Umweltverträglichkeitsprüfung ergeben hat, dass «in der Nähe keine Grundwasserschutzzonen betroffen sind und die Quellfassungen mit entsprechenden Massnahmen vor Verschmutzung während der Bauphase und anderen Beeinträchtigungen geschützt werden», so Wismer-Felder.
Priska Wismer-Felder
Bäuerin, Lehrerin und PolitikerinPriska Wismer-Feld sitzt seit 2019 für Die Mitte im Nationalrat und ist dort Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie.
«Warum tu‘ ich mir das an?»
Im Grunde gehe es einem Teil der Gegnerschaft jedoch nicht um Fakten und Gegenargumente, sondern darum, dass sie diese Technologie einfach nicht wolle, oder zumindest nicht bei sich in der Nähe, vermutet Priska Wismer-Felder. «Das ist bedauerlich, denn wir brauchen in der Schweiz dringend Lösungen für Stromlücken im Winter. Doch das ist leider noch nicht überall in der Bevölkerung angekommen. Versorgungssicherheit gibt es nur, wenn wir im eigenen Land mit verschiedenen Technologien Strom erzeugen können. Windenergie ist ausserdem sehr effizient. Was wir mit unserer privaten Solaranlage im Jahr an Strom produzieren, könnten wir mit den drei geplanten Windrädern an einem Tag erreichen.»
Auf die Frage nach der guten Sichtbarkeit von Windrädern antwortet Wismer-Felder: «Ja, man sieht Windräder gut. Aber man sieht auch AKWs von weitem, ebenso wie Staumauern und grosse Solaranlagen. Wir brauchen Strom und das ist in unserer Landschaft sichtbar. Windräder sind aber nicht hässlicher als andere Verbauungen für die Energieerzeugung. Aber wir müssen die Anlagen schon bündeln.»
Rickenbach ist ein kleiner Ort, wo man einander kennt. Seit die Wogen wegen des Windparks hochgehen, kam es auch zu persönlichen Angriffen gegen Priska Wismer-Felder und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter. «Da fragt man sich schon irgendwann, warum tu‘ ich mir das an?», so die Nationalrätin. «Wir machen das letztlich für die Gesellschaft, für unsere Stromversorgung und für die Energiewende. Wir haben die Zeit nicht mehr, über jedes Windrad jahrelang zu diskutieren. Die Verfahren müssen verkürzt werden. Statt mit jedem Projekt zwei- oder dreimal vor Gericht zu gehen, könnte man für eine Beurteilung auch direkt ans Bundesgericht gelangen.»
Aufgeben ist keine Option
Noch liegt die Planungszeit für Windanlagen in der Schweiz jedoch bei etwa 20 Jahren. Und auch in Rickenbach wird noch viel Wind über den Stierenberg wehen, bis dort vielleicht einmal ein Windpark gebaut wird. Gerade hat eine von der Gegnerschaft initiierte und gewonnene Abstimmung über eine – vom Kanton als aussichtlos eingestufte – Zonenplanänderung bewirkt, dass der Windpark Stierenberg wieder auf Jahre hinaus blockiert ist.
Ist Aufgeben eine Option? «Nein, für mich nicht. Wir haben ein Winterstromproblem und das müssen wir lösen. Dafür setze ich mich ein. Zudem haben Windenergieanlagen dort die grösste Akzeptanz, wo sie bereits stehen. So weit können wir auch in Rickenbach kommen», so Priska Wismer-Felder.