Freiwillig nachhaltig
Mit anderen Menschen zusammen etwas erleben und dabei Spass haben – das sind die Hauptgründe, weshalb sich die Bevölkerung freiwillig engagiert. Doch freiwilliges Engagement ist noch viel mehr wert, es hat auch mit Nachhaltigkeit zu tun.
Während die Schweizer Bevölkerung 2020 im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie zusammengewachsen ist, weil man sich gegenseitig unterstützt hat und der soziale Zusammenhalt gross war, löste sich diese positive Entwicklung 2021 bereits wieder in Rauch, beziehungsweise Ernüchterung und Enttäuschung auf. Viele Menschen konnten die Herausforderungen des zweiten Pandemiejahres weniger gut meistern als die des ersten und wurden zunehmend mutloser und niedergeschlagener. Dies führte in der Folge dazu, dass bei ihnen der Wunsch und die Bereitschaft deutlich abnahmen, anderen Menschen helfen zu wollen. Zu diesem Schluss kommt der Hoffnungsbarometer 2022, eine Erhebung der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung Swissfuture. Der Barometer wird seit 2009 jährlich erhoben und befragt die Bevölkerung über ihre Zufriedenheit und Zukunftserwartungen, persönliche Hoffnungen, Quellen von Hoffnungen, ihr persönliches und soziales Wohlbefinden sowie über die erlebte soziale Unterstützung.
Bemerkenswert an diesem Resultat ist, dass selbst diejenigen, die angaben, aktuell wenig Hilfsbereitschaft anderen Menschen gegenüber zu empfinden, sich bewusst waren, dass genau diese Bereitschaft, anderen Gutes zu tun, Menschen glücklich und hoffnungsfroh macht. Was die Glücksforschung schon lange weiss – Gutes tun macht glücklich – nehmen die Menschen also auch in den dunkelsten Stunden der Pandemie wahr, wenn sie sich gerade hauptsächlich um ihre eigene Befindlichkeit kümmern.
Freiwilligenarbeit ist nachhaltig
Bleibt zu hoffen, dass aus dem Wissen bald wieder Taten werden. Denn sozialer Zusammenhalt in einer Gesellschaft entsteht nur dort, wo die Menschen sich umeinander kümmern und sich mit einer gemeinsamen Idee identifizieren. Darin ist die Schweiz – sofern nicht gerade über längere Zeit eine Pandemie das Land beherrscht – ja eigentlich gut. Noch im Jahr 2020 gaben laut Bundesamt für Statistik 41 Prozent der über 15-jährigen Bevölkerung der Schweiz an, in den vergangenen vier Wochen Freiwilligenarbeit in institutionalisiertem oder informellem Rahmen geleistet zu haben. Das entspricht drei Millionen Menschen, die im Schnitt 4,1 Stunden pro Woche unbezahlt gearbeitet haben. Die Beteiligung an institutionalisierter Freiwilligenarbeit, beispielsweise in Vereinen und Verbänden, blieb zwischen 2010 und 2016 konstant bei 20 Prozent der Bevölkerung und ging erst 2020 auf 16 Prozent zurück. Dieser Rückgang geht auf die Covid-19-Schutzmassnahmen zurück, die die Vereinstätigkeiten eine Zeit lang stark einschränkten oder gar verunmöglichten. Der Geldwert dieser unbezahlten Arbeit in Vereinen, Nachbarschaftshilfen, Jugendorganisationen usw. wurde für das Jahr 2016 vom Bundesamt für Statistik auf 34 Milliarden Franken geschätzt.
Ein nettes Sümmchen also, das der Staat nicht ausgeben muss, obwohl er sich des Werts der Freiwilligenarbeit sehr bewusst ist: «Freiwilligenarbeit schafft Kontaktmöglichkeiten und ist daher Ausdruck des Sozialkapitals. Sie ergänzt professionelle Dienstleistungen und trägt damit zur Deckung der materiellen und immateriellen Bedürfnisse der Bevölkerung bei. Freiwilligenarbeit dient unter anderem der Unterstützung von Benachteiligten und wirkt somit der Ausgrenzung der Schwachen entgegen. Eine Zunahme des Anteils der Bevölkerung, die Freiwilligenarbeit leistet, ist daher ein Schritt in Richtung Nachhaltige Entwicklung.»
So steht es geschrieben im sogenannten Indikatorensystem MONET 2030 (Monitoring der nachhaltigen Entwicklung) des Bundes, das einen Überblick bietet über die nachhaltige Entwicklung in der Schweiz und die Fortschritte illustriert bei der Umsetzung der 17 Ziele (Sustainable Development Goals SDGs) für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen sowie der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 des Bundesrates.
Nachhaltigkeit? Vereinte Nationen? Was hat das denn mit Freiwilligenarbeit zu tun? Nun, der Nachhaltigkeitsbegriff, mit dem die Vereinten Nationen (UNO) seit der Agenda 21 von 1992 arbeiten, umfasst gleichwertig ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele. Der Schutz der Umwelt und die Bekämpfung des Klimawandels sollen demgemäss Hand in Hand gehen mit der Bekämpfung von Armut sowie der Durchsetzung der Menschenrechte. Dabei ist zwar klar, dass ein intaktes Ökosystem die Grundlage von allem ist, doch als Menschen muss es uns genauso wichtig sein, dass niemand Hunger leidet oder in Kriegsgebieten gefoltert wird. Zumal sich Menschen ohnehin nur für die Umwelt und für Mensch und Tier einsetzen können, wenn sie ein wirtschaftliches Auskommen haben und in Frieden leben können. Und damit schliesst sich der Kreis zur Freiwilligenarbeit. Denn in einer intakten, friedlichen Gesellschaft funktionieren sowohl Politik und Verwaltung wie auch die sozialen Gemeinschaften. Dazu gehören Familie und Freundeskreis, aber eben auch Vereine und Organisationen. Und so lautet Ziel 16 der 17 Entwicklungsziele (SDGs) der UNO, zu deren Umsetzung alle UNO-Mitglieder verpflichtet sind: «Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.»
Spass haben mit anderen zusammen
Menschen sind aber nicht nur deshalb freiwillig tätig, weil sie anderen Gutes tun möchten, sondern weil auch sie selbst von diesem Engagement profitieren. Im Freiwilligen-Monitor Schweiz der Schweizerischen Gemeinnützigen Gemeinschaft, der alle vier bis fünf Jahre den Stand des freiwilligen Engagements in der Schweiz erhebt, rangiert 2019 das Motiv, sich freiwillig zu engagieren, um anderen Menschen zu helfen, erst auf Rang drei. Wichtiger sind die Motive, dass die Tätigkeit Spass macht und dass man dabei mit anderen Menschen zusammenkommt. Das ist auch völlig richtig so, denn nur wer zu sich schaut und wem es gut geht, kann auch für andere schauen und für sie da sein.