Gesunde Ernährung im «Naturfreund»
Ab 1960 waren die Naturfreunde Schweiz alleine verantwortlich für die Herausgabe des Magazins Naturfreund. Der grosse redaktionelle Wurf liess in diesen Jahren allerdings noch auf sich warten.

Nachdem die Herstellung des «Naturfreund» Ende 1959 von der Naturfreunde Internationale entkoppelt worden war, ging das Gstürm um die richtige Form des Mitgliedermagazins 1961 weiter. An der Delegiertenversammlung im November 1960 hatte man sich zwar darauf geeinigt, vorläufig bei der monatlichen Erscheinung zu bleiben und mittelfristig aus finanziellen Gründen zu einem vierteljährlichen Rhythmus überzugehen sowie die Produktion der «Illustrierten» einzustellen. Doch dieser demokratische Entscheid wurde nicht vollumfänglich mitgetragen. So verabschiedete sich der bis Ende 1961 zuständige Redaktor mit einer Wutschrift von seinen Leser:innen, in der er zu einem Rundumschlag gegen die gesamte Verbandsstrategie der damaligen Verantwortlichen ausholte: «Es ist geradezu katastrophal, mit welcher Gleichgültigkeit und Wurstigkeit die übergrosse Mehrheit unserer Mitglieder, sehr zur Freude unserer Bonzen, dem Vereinsgeschehen gegenübersteht, man hat für alle möglichen Gaukeleien mehr Verständnis, als für eine seriöse Mitarbeit zur Förderung unserer Bestrebungen.»1 In der darauffolgenden Ausgabe entschuldigte sich die damalige Geschäftsleitung wortreich für diese Entgleisung: «Nehmen wir so Abschied? Nein, wir gestehen es offen: Niemand von uns hat daran gedacht, dass das Abschiednehmen so sein würde, wie es nun durch den Amoklauf des scheidenden Redaktors Albert Gorter im ‹Naturfreund›, Nr. 12/1961, ausgefallen ist.»2
Der Tourismus ist zum Big Business geworden. 128 Millionen Touristen haben im vergangenen Jahr auf Auslandsreisen 13 Milliarden Dollar ausgegeben.
Die Entscheidung für die Kurskorrektur der Verbandsmagazine provozierte aber auch zahlreiche Leserbriefe, deren Publikation erst nach einem Machtwort des neuen Redaktors eingestellt wurde. Für Furore gesorgt hatte auch die Entscheidung, die erfolgreiche «Illustrierte» einzustellen. Die «Illustrierte», die parallel zum «Naturfreund» herausgegeben wurde, generierte zwar reichlich Inserate-Einnahmen, bot aber keinen Platz für Mitteilungen aus Sektionen, Kantonalverbänden, Fachgruppen usw., worauf die einen Sektionen aus naheliegenden Gründen nicht verzichten mochten, wohingegen andere Mitglieder den Inserate-Einnahmen und den schönen Fotos hinterhertrauerten.
War der internationale «Naturfreund» in einer deutschen und einer französischen Version erschienen, entschieden sich die Schweizer ab 1960, beide Sprachen in einer Publikation zu vereinen. Die redaktionellen Artikel in der «Partie française» (später Page romande) wurden von Constance Jacob betreut, die bereits für den internationalen «Ami de la Nature» verantwortlich gewesen war. Zwischen all den männlichen Redaktoren, die die Geschicke des «Naturfreund» jahrzehntelang prägten, war sie eine der wenigen Frauen, die (sichtbar) an der Naturfreunde-Zeitschrift mitarbeitete und sie auch inhaltlich mitgestaltete.
Einsparungen werden nötig
Inhaltlich erstaunt in diesen Jahren die Hinwendung der Naturfreunde zu gesunder Ernährung. Zahlreiche Artikel klären etwa über den Unterschied zwischen Vollkornmehl und Weissmehl, den Zusammenhang zwischen erfolgreicher sportlicher Betätigung und gesunder Ernährung sowie gesunde Ernährung nach Bircher-Benner auf. Ein Schelm könnte natürlich zwischen diesen Artikeln und zahlreichen Inseraten direkt aus den Reformhäusern einen Zusammenhang vermuten, tatsächlich ging das Interesse der Redaktion aber weiter. So war auch der Hunger auf der Welt regelmässig Thema und selbst über Food Waste wurde ausführlich geschrieben.
Ab 1965 erschien der «Naturfreund» im Heftformat (etwas kleiner als heute) und ab sofort ohne die Mitteilungen aus den Sektionen. Diese seien zu ausufernd und der Platz dafür entsprechend zu teuer geworden. Der damalige Zentralvorstand empfahl den Sektionen, ihre Aktivitäten in der lokalen Presse anzukündigen. Ein Rat, der noch heute Geltung hat – sofern die lokale Presse noch existiert.
Es ist geradezu katastrophal, mit welcher Gleichgültigkeit und Wurstigkeit die übergrosse Mehrheit unserer Mitglieder, sehr zur Freude unserer Bonzen, dem Vereinsgeschehen gegenübersteht […]
Tourismus wird zum «Big Business»
Die «Monatszeitschrift für Touristik und Freizeit» mäanderte in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre im Vergleich zu früheren Jahren inhaltlich relativ harmlos zwischen Tierporträts, Bastelanleitungen und gelegentlichen Artikeln über Umweltschutz. Relativ unkritisch wird auch über die Entwicklung des Tourismus geschrieben: «Wem es in den letzten Jahren noch nicht von selbst aufgegangen ist, kann es jetzt aus einer Aufstellung der in Genf ansässigen Internationalen Union amtlicher Reiseorganisationen entnehmen: Der Tourismus ist zum Big Business geworden. 128 Millionen Touristen haben im vergangenen Jahr auf Auslandsreisen 13 Milliarden Dollar ausgegeben.»3
Als etwas unbedarft erscheint auch eine als redaktioneller Artikel getarnte Gratiswerbung für das Reiseunternehmen Popularis Tours, das eine Kreuzfahrt Schrägstrich Bildungsreise an die Weltausstellung in Kanada anbietet. «Diese Fahrt in die neue Welt dürfte für viele erschwinglich sein, liegt doch der Minimalpreis schon bei 1425.–»4
Etwas kritischer wurde hingegen über eine andere Dimension des Tourismus nachgedacht, nämlich die Völkerverständigung: «Tourismus, ein Mittel im Dienste der Völkerverständigung – wie oft ist dieser Satz schon ausgesprochen worden, ohne ihn näher auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Denn sind wir ehrlich: Nicht immer und überall ist er zutreffend. So will es einem nur schwer in den Kopf, worin der Beitrag des Tourismus zur Völkerverständigung bestehen soll, wenn ein mit Amerikanern vollgestopfter Car seine Europaroute abrollt und der Kontakt seiner Insassen mit Land und Leuten in der Schweiz zur Hauptsache in einem folkloristischen Swiss evening mit Fahnenschwingen und Alphornblasen besteht (nichts gegen die Vertreter dieser ehrbaren Künste!). Und was hat es für eine Bewandtnis mit dem Tourismus als Mittel der Völkerverständigung, wenn ein biederer Eidgenosse an eine sonnige Küste fliegt, wo sein Streben nicht dahin geht, Einblicke in das Leben der fremdländischen Bevölkerung zu gewinnen, sondern ein paar Landsleute zu finden, mit denen er einen Schieber klopfen kann (nichts gegen die Freunde der Jasskunst!).»5