Schweizer Naturfreunde halten die Bewegung zusammen
Das Überleben der internationalen Naturfreundebewegung hing in den Jahren zwischen 1933 und 1945 an einem seidenen Faden. Die Schweizer Naturfreunde spielten in dieser Zeit eine entscheidende Rolle.

Die Nacht-und-Nebelaktion 1934 war eine Flucht in extremis. Der Raub der Naturfreundehäuser, die aus ersparten Mitteln und in unermesslicher Eigenleistung errichtet wurden, war eine materielle Katastrophe. Trotzdem wog die Erniedrigung der zigtausend Arbeiterfamilien in Wien, die sich mit Stolz ‚proletarisch‘ nannten, noch schwerer. Denn die selbsternannten «Heimwehrer» (in Österreich) spielten sich von allem Anfang an als Saubermänner gegen das «Ungeziefer» auf. Mit bekanntem Erfolg 1938: Einverleibung Österreichs ins nationalsozialistische Dritte Reich.
So wichtig in dieser Not das Mitteilungsblatt auch war, das nun in der Schweiz redigiert und verlegt wurde, so hilflos und trist lesen sich die im Heft noch knapp fünf Jahre lang rapportierten Versuche österreichischer Naturfreunde, ihr Schicksal zu wenden. Zwar erhielten sie nach dem Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland moralisch recht, aber der Preis war hoch: Enorme Schäden an Hütten und Häusern, Folter und Tod in Konzentrationslagern, zerbrochene Seelen.
Das schiere Überleben hing an einem dünnen Faden. Am 25. März 1934, d. h. bereits im Monat nach dem Putsch, entschied eine Konferenz in Zürich, einen neuen «Zentralausschuss» mit Sitz in Zürich zu bilden und «… übertrug ihm die Aufgaben der Aufrechterhaltung unserer internationalen Organisation und die Wahrung deren Gesamtinteressen.»1 Ausführende wurden aus praktischen Gründen Schweizer Naturfreunde (Ernst Moser, Walter Escher usw.), die gleichzeitig die Geschicke des vor knapp zehn Jahren gegründeten Landesverbandes zu leiten und begleiten hatten. Es war eine Herkulesaufgabe, die zwar einigermassen erfolgreich in die Nachkriegszeit führte. Aber die Ermüdungserscheinungen sind unübersehbar. Es war denn auch Ernst Moser, der anlässlich der Tagung vom 5. August 1946 in ungewohnt heftiger Weise eine provokante Meinungsäusserung, wonach man das Mitteilungsblatt «Der Naturfreund» besser eingehen lasse, weil es nur deutschsprachig sei, konterte: «Wir Schweizer haben während des Krieges durchgehalten und die Herausgabe des deutschen ‚Naturfreund‘ und des französischen ‚Ami de la Nature‘ ermöglicht. Wollen wir jetzt dieses Bindeglied aufgeben?»2 Das Heft erschien trotz unbestrittener Sprachproblematik dann doch noch weitere acht Jahre in gewohnter Weise.
Fokus auf Schweizer Themen
Ab Fluchtjahr 1934 ging die Schweizer Zuständigkeit nicht ganz spurlos am Heft vorbei, wenn auch nur diskret. Seit 1907 hiess es lückenlos «Der Naturfreund. Mitteilungen des Touristen-Vereines ‚Die Naturfreunde’» und nun «Zeitschrift des Touristen-Vereines ‚Die Naturfreunde’». Ob der feine Unterschied im Untertitel Programm war oder nicht, sei dahingestellt. In Grundhaltung und Zielsetzung, d. h. an der ethisch-politischen Ausrichtung hatte sich nichts geändert. Im Gegenteil, die Schweizer haben den Pfad «empor zum Licht» in erstaunlicher Gelassenheit redaktionell eher vertieft als verlassen. Das Heft war zwar nach wie vor ein Mitteilungsblatt mit einem, selbst aus heutiger Sicht, enormen touristischen Fundus an Erlebnis- und Bildungsartikeln. Geändert haben sich aber Proportionen und Optik. Die bisher vielen Seiten mit höchst informativen Mitteilungen, über die bis in die USA verstreuten Ortsgruppen, schmolzen zu deutlich weniger Seiten, die zudem vorwiegend Mitteilungen aus und über Schweizer Ortsgruppen (und Häuser) umfassten. Auch die Aufsätze, Reiseberichte und Bildungsbeiträge naturwissenschaftlicher Art verraten ab 1934 zunehmend eine Schweizer Sichtweise, namentlich in der nun nahezu widerspruchsfreien Wintersportthematik. Die vielen Alpinthemen waren einerseits Selbstdarstellung, aber selbstverständlich auch Lückenbüsser für die terrorbedingt ausbleibenden Aktivitäten der viel zahlreicheren deutschen und österreichischen Ortsgruppen.
Eingestreut blieben die Schmerzthemen aus Wien, d. h. der Diebstahl von Hütten und die Aberkennung der Marke ‚Naturfreunde‘. Die faschistischen Zwangsverwalter scheiterten zwar kläglich beim Versuch, die zehntausenden von Wiener Naturfreunden in den Pseudoverein ‚Bergfreunde‘ zu locken und damit den Diebstahl zu verschleiern, was im Mitteilungsblatt immer wieder einmal in bitterer Ironie beschrieben wurde. Aber 1938 ging sogar dieser Spuk zu Ende: «Wie in Deutschland, so gehen die Nazis auch in Oesterreich dazu über, das schon einmal durch die Klerofaschisten geraubte Eigentum der Naturfreunde nochmals zu rauben.»3 Unter dem unsäglich beschönigenden Begriff der ‚Übereignung‘ wurden die Naturfreunde-Schutzhütten dem nationalsozialistischen Deutschen Alpenverein übergeben. Diese Übereignung war nichts weniger als eine Raubschenkung. Vier Jahre nach der Flucht ihrer Zentrale aus Wien in die Schweiz war der materielle Verlust für die österreichischen Naturfreunde nun total.
So haben sich die Ortsgruppen Schaffhausen (Buchberghütte) und Zürich (Albishaus) bereit erklärt, jüdische Emigranten in ihre Häuser zu nehmen und dort zu verpflegen.
Die Schweizer Redaktion des Heftes konnte die internationale Korrespondenz mit viel Durchhaltewillen einigermassen aufrechterhalten. Das gelang mit tschechischen Ortsgruppen recht gut. So gelangten zahlreiche, noch heute lesenswerte Artikel aus dem slawischen Raum in Zürich zur Publikation. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht am 15. März 1939 verstummten aber die tschechischen Quellen, mit dem Überfall Polens durch die Nazis am 1. September im gleichen Jahr auch die polnischen4. Der weitere Kriegsverlauf ist bekannt. Die Basis, die noch international genannt werden konnte, verschmälerte sich bei jedem Nazi-Feldzug dramatisch, bis schlussendlich nur noch Ortgruppen in den USA handlungsfähig blieben. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, bis die Internationalität des Mitteilungsblattes selbst von Schweizer Ortsgruppen in Zweifel gezogen wurde. An der Delegiertenversammlung 1942 tönte es so: «Ein gesunder Landesverband ist wichtig. Die noch existierenden Verbindungen mit andern Landesgruppen sollen [zwar] aufrecht erhalten werden. […] Der ‚Naturfreund‘ ist heute [aber] kein Mitteilungsblatt mehr für den Austausch der Beiträge aus verschiedenen Ländern. Er ist nur noch ein Organ für die Schweiz und bedeutet für die heutige Lage einen Luxus. Die Mittel sollen für den Ausbau des Landesverbandes verwendet werden.»
Aufnahme von jüdischen Geflüchteten
Die Solidarität bekam Risse. Denn die Schweizer führten ihr eigenes Heft ‚Berg frei‘ seit zwanzig Jahren parallel zum internationalen Heft. Das wurde nun, auf dem Hintergrund von Teuerung, Beitragserhöhung und eigener materieller Not als unnötige Doppelspurigkeit empfunden. In der gleichen Delegiertenversammlung: «Die ‚Berg frei‘-Kasse wird auch noch mit der Spedition des internationalen ‚Der Naturfreund‘ und des Funktionärsverzeichnisses belastet.» Zwar konnte die offensichtlich erfolgreiche Illustrierte die doppelspurig geführten Hefte einigermassen quersubventionieren, weil sie viele Inserate akquirieren konnte. Aber die Finanzierungsprobleme blieben und führten zur Grundfrage, die der Landesobmann Albert Georgi der Delegiertenversammlung stellte: «Der Roman, der sich um die ganze Frage entwickelt hat, soll auf die einfache Frage zurückgeführt werden, ob wir das Geld für die Internationale und ihr Organ aufbringen wollen oder nicht.» Schlussendlich fanden die Schweizer einen finanzierbaren Weg.
Im Januarheft 1939, auf Seite 28 findet sich eine Notiz, die in der Unmenge von Katastrophenmeldungen beinahe unterzugehen droht: «Die Judenhetze in Deutschland hat auch der Schweiz viele Hunderte von Flüchtlingen gebracht, meistens jüdischer Rasse. Sie unterzubringen, war oft ein heikles Problem, weil sehr viele ohne alle Mittel kamen und die Unterstützung nicht reicht, in Pension oder Hotel zu wohnen. So haben sich die Ortsgruppen Schaffhausen (Buchberghütte) und Zürich (Albishaus) bereit erklärt, jüdische Emigranten in ihre Häuser zu nehmen und dort zu verpflegen. So sind seit Monaten schon auf der Buchberghütte 80–90 Emigranten und auf dem Albishaus 50–60. Die Lager sind gut organisiert. Es bestehen strenge Vorschriften, damit alles ohne Reibung vor sich geht. Es wird gesamthaft eingekauft und verwaltet. Der Tag ist mit bestimmten Arbeiten, Unterricht usw. ausgefüllt. Die beiden Häuser stehen trotzdem allen Naturfreunden offen, da sie noch genügend Platz und Schlafgelegenheiten aufweisen. Die Emigranten sind sehr dankbar, dass ihnen diese Unterkunftsgelegenheiten geboten sind.» Auch das war im Wissen und fraglos auch nur mit Billigung des Landesverbandes möglich.
Wie in Deutschland, so gehen die Nazis auch in Oesterreich dazu über, das schon einmal durch die Klerofaschisten geraubte Eigentum der Naturfreunde nochmals zu rauben.
Rhythmus der Delegiertenversammlungen
Ein, sagen wir ’statutarisches Kuriosum‘ erscheint unter Schweizer Feder im Mitteilungsblatt, das beim Verbleib der Redaktion in Wien kaum den Weg ins Heft gefunden hätte. Obwohl nirgends in den Statuten geregelt, aber durchaus pragmatisch und gut nachvollziehbar: «In Jahren, in denen keine Landesdelegiertenversammlung stattfindet, treten die Bezirksobmänner und eine Reihe weiterer Funktionäre zur Bezirksobmännerkonferenz zusammen, um Jahresbericht und Jahresrechnung abzunehmen und sonstige Beschlüsse, die nicht verschoben werden können, zu fassen. […] Nach Erledigung der statutarischen [?!] Geschäfte, die teilweise zu fruchtbaren und klärenden Diskussion riefen und so zu einem eigentlichen Funktionärskurs wurden, besprach man eingehend das Kurswesen sowie die kulturelle Tätigkeit der kommenden Jahre. So wurde [am 22./23. April in Zürich] vor allem beschlossen, folgende Kurse in diesem Jahr durchzuführen: Ski-Instruktorenkurs, Tourenleiterkurs, Fahrchefkurs für Paddler, Jugendleiterkurs und Filmoperateurkurs […].»5 Die Bezirksobmännerkonferenz, anscheinend eine reine Männerdomäne, erhielt denn auch das Kürzel BOK. Den vermutungsweise demokratisch gesinnten BOK-Teilnehmern war angesichts der reichlich dürftigen Legitimation ein ausgesprochen pragmatisches Talent nicht abzusprechen. Übrigens führte diese etwas gewagte Praxis in den Nachkriegsjahren6 immerhin zur statutarischen Bereinigung in Form des späteren ‚Zentralvorstandes‘ und noch später wieder zu dessen Abschaffung und zur in der Regel jährlichen Delegiertenversammlung. Der Vollständigkeit halber noch dies: Aus Spargründen nach den teuren frühen 2000er-Jahre wurde die Delegiertenversammlung vorübergehend auf einen Zweijahresrhythmus zurechtgestutzt … mit einer Präsidentenkonferenz in den Zwischenjahren. BOK lässt grüssen.
Alle ausschliesslich mit Jahrgang und Seitenzahl bezeichneten Zitate stammen aus den angegebenen «Naturfreund»-Sammelbänden. Zusätzlich konsultierte Quellen werden mit ihrem jeweiligen Titel ausgewiesen.