Kein Sport für Gfrörli
Wenn jeweils ab Ende Jahr in den Bergen die grossen Wasserfälle gefrieren, dann beginnt für die kälteresistenten und wagemutigen unter den Kletterern und Kletterinnen die Eisklettersaison. Für wen diese boomende Sportart geeignet ist und was der grösste Unterschied zum Felsklettern ist, erklärt Urs Odermatt, einer der profiliertesten Eiskletterer der Schweiz, im Interview.
Urs Odermatt
Urs Odermatt ist diplomierter Bergführer und war zehn Jahre lang Profikletterer im RedBull Athleten Team. Er gehört zu den Pionieren des Eiskletterns in der Schweiz und hat diverse Eiskletterführer geschrieben.
Urs Odermatt, können Kletter-Anfänger und -anfängerinnen direkt ins Eis oder ist es besser, zuerst an Felsen zu klettern?
Im Rahmen eines Events ist es zwar möglich, Eisklettern ohne Vorkenntnisse zu probieren. Um den Sport zu erlernen ist aber eine solide Grundausbildung im Fels Voraussetzung.
Die Kälte ist wohl kaum der bedeutendste Unterschied zwischen dem Eis- und dem Felsklettern. Sondern?
Das Risiko. Während dem man Felsklettern als sichere Sportart bezeichnen darf, bleibt beim Eis-klettern ein erhebliches Restrisiko. Ausserdem müssen beim Eisklettern wesentlich mehr objektive Gefahren berücksichtigt werden.
Eisklettern ist gefährlicher als Felsklettern. Wie gehen Sie im Eis mit dem Risiko um, das mitklettert?
Da muss jeder sein persönliches Risikomanagement machen und für sich selber entscheiden, ob die Tour momentan sicher ist oder nicht. Persönlich steige ich nur dann ein, wenn ich überzeugt bin, dass die objektiven Gefahren vernachlässigbar sind.
Was war die waghalsigste Aktion, die Sie je riskiert haben?
Das war ganz klar in Grönland, als ich an einem schwimmenden Eisberg kletterte. Da sich Eisberge im Prinzip jederzeit drehen können, kletterte ich ohne Seil oder Sicherung, damit ich im Notfall abspringen konnte. Bei den eisigen Wassertemperaturen kein angenehmes Szenario.
Gibt es im Eis «Klettersünden», No-Goes, die auf keinen Fall geschehen dürfen?
Die gibt es natürlich immer und überall. Da Eisklettern sehr viel mit Erfahrung und Können zu tun hat, gelten für Anfänger andere Regeln als für Profis.
Ist Eisklettern der richtige Sport, wenn man seine körperlichen und mentalen Grenzen austesten will?
Ich denke nicht. Der Grat von der Grenzerfahrung zur Katastrophe ist beim Eisklettern sehr schmal. Wer Grenzen ausloten möchte, tut das besser in einer Sportart, bei der es nicht grad tödlich endet, wenn man die Situation falsch einschätzt.
Welchen Stellenwert geniesst die Landschaft für Eiskletterer und -kletterinnen?
Einerseits ist das Klettern an einem gefrorenen Wasserfall an sich schon ein grossartiges Landschaftserlebnis, andererseits verbringt man den ganzen Tag im Schatten, was nicht jedermanns Sache ist.
Was war das Überraschendste, das Sie je im Eis gefunden haben?
Ein kompletter Frosch, der praktisch im Sprung eingefroren wurde.
Sie haben Eiskletter-Führer geschrieben, die mittlerweile als Standardwerk gelten in der Szene. Haben Sie die Routen, die darin beschrieben werden, selbst entdeckt?
Nein. Mir sind zwar zahlreiche Erstbegehungen gelungen, die auch in den Büchern beschrieben werden. Insgesamt handelt es sich aber um eine Übersicht über fast alle wichtigen Klettergebiete in der ganzen Schweiz. Entsprechend viele Leute haben dazu beigetragen.