Naturfreunde zwischen Solidarität und Zerreissprobe
Die Naturfreunde entstanden aus der Internationalen Arbeiterbewegung heraus und waren somit eng mit deren sozialistischen Idealen verknüpft. Die Solidarität im Verein war gross, doch die politischen Umwälzungen zwischen 1914 und 1925 wurden auch für die Naturfreunde zur Zerreissprobe.
Der Erste Weltkrieg traf die Naturfreunde Internationale hart. Während man zu Beginn noch optimistisch war, dass der Konflikt bald vorbeigehen würde und man den Normalbetrieb aufrechterhalten könne, stellte sich bald Ernüchterung ein. Im internationalen Vereinsmagazin «Der Naturfreund» wurden regelmässig die gefallenen Mitglieder aufgelistet. Bis zum Ende des Krieges erschienen 1255 Namen auf diesen Kriegsverlustlisten, wobei viele Gefallene nicht gemeldet wurden, verschollen blieben oder erst später an den Folgen ihrer Kriegsverletzungen starben und somit nicht in der Statistik auftauchten.
Der Krieg förderte aber auch den Zusammenhalt im Verein. Viele österreichische Ortsgruppen übernahmen die Beiträge ihrer Mitglieder an der Front und kümmerten sich um deren Kinder, indem sie Wanderungen und Betreuungsangebote organisierten oder Spenden sammelten, um den Kindern eine Weihnachtsüberraschung zu ermöglichen.
Unsere Zusammenkünfte dürfen nicht ausgelassen werden. Wenn auch die männlichen Mitglieder fehlen; ihre Angehörigen sollen unter dem Banner des Vereins sich treffen, in ereignisreichen, traurigen Tagen Trost und frohe Hoffnung bei uns finden!
«Der Naturfreund», 1914
Auch auf internationaler Ebene war die Solidarität gross und man arbeitete weiterhin eng zusammen: Als «Der Naturfreund» 1916 nicht mehr von Österreich aus ins Feindesland verbreitet werden durfte, sprangen die Schweizer Ortsgruppen ein und übernahmen den Versand nach Amerika, Frankreich und England. Einige Schweizer Gruppen spendeten Geld und Kleidung an die Österreichischen Nachbarn und nahmen für jeweils sechs Wochen Kinder von kriegsgebeutelten Naturfreunde-Familien bei sich auf. Die Kinder waren teils unterernährt und mussten vorsichtig aufgepäppelt werden.
Die Situation gegen Ende des Krieges wurde vorerst nicht besser, sondern schlimmer. Hunger, Armut und Wohnungsnot hatten die Arbeiterklasse weiter im Griff. Die Spanische Grippe forderte viele Todesopfer unter der bereits geschwächten Bevölkerung, besonders unter den Ärmsten. Diese soziale Ungerechtigkeit führte zu weiterem Unmut und die Arbeiterbewegung erlebte erneut einen unaufhaltsamen Aufschwung.
Auf politischer Ebene gab es erste Erfolge für die Arbeiterschaft zu verzeichnen: In Österreich gewannen die Sozialdemokraten die erste Wahl nach dem Zerfall der Monarchie und der Naturfreunde-Mitbegründer Karl Renner wurde im Februar 1919 zum ersten Staatskanzler der Ersten Republik gewählt. Die Sozialdemokraten setzten das allgemeine Wahlrecht durch und beschränkten die gesetzlich zulässige Arbeitszeit auf 48 Stunden pro Woche.
Auch in der Schweiz hatten der Erste Weltkrieg und die Oktoberrevolution in Russland die politischen und gesellschaftlichen Spannungen verschärft. Am 12. November 1918 kam es schliesslich zum Eklat, als über 250 000 Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Strasse gingen und streikten. Die Stimmung am sogenannten Landesstreik war enorm angespannt und ein Bürgerkrieg konnte nur knapp verhindert werden. In der Folge fanden die Anliegen der Arbeiterschaft in der Politik Gehör und auch hierzulande wurde 1919 die 48-Stunden-Woche eingeführt.
Ein Verband, zwei Lager
Die neu gewonnene Freizeit war für die Arbeiterschaft zuerst ungewohnt und da durch die herrschende Inflation kaum etwas vom kargen Lohn übrigblieb, konnte man sich auch keine grossen Sprünge leisten. Das machte das Angebot der Naturfreunde für kostengünstige Wanderferien ungeheuer attraktiv, besonders für Familien und Jugendliche. Die Naturfreundebewegung gewann immer mehr Mitglieder.
In dieser Zeit des Umbruchs spaltete sich das linkspolitische Lager 1919 in zwei Hälften: Die Sozialdemokraten und die Kommunisten. Besonders in den grossen städtischen Zentren wie Zürich, Genf und Basel fand die kommunistische Partei viel Zuspruch. Diese ideologische Spaltung ging auch an den Naturfreunden nicht spurlos vorüber und die Spannungen wurden zur Zerreissprobe für den Verein.
Die Ortsgruppen Basel und Pratteln waren beide fest in kommunistischer Hand, worauf sich der internationale Verein 1932 gezwungen sah, einzugreifen und die Gründung einer zweiten, sozialdemokratisch orientierten Gruppe zu verordnen. In Deutschland ging der Verein weitaus rabiater gegen das Problem vor und die Kommunisten wurden rigoros ausgeschlossen.
1923 nahm der Gesamtverein die sozialistische Ausrichtung in die Statuten auf (Leipziger Resolution) und ebnete den Weg für die Gründung von Landesverbänden. Ein Grund dafür war das stetige Wachstum der Naturfreundebewegung und die daraus resultierende Notwendigkeit neuer organisatorischer Strukturen.
Der Touristen-Verein ‹Die Naturfreunde› ist die internationale Wanderorganisation des arbeitenden Volkes. Sie strebt eine sozialistische Kultur an.
Leipziger Entschliessung, Bestandteil der Statuten des internationalen Gesamtvereins, 1923
1925 wurde der Schweizer Landesverband gegründet, auch um dem Druck der vereinsinternen politischen Reibereien entgegenzuwirken. Als Sitz des Landesverbands entschied man sich für Zürich als das wichtigste Standbein des Vereins. Die Zürcher Fraktion war tendenziell offen gegenüber Mitgliedern der kommunistischen Partei, ganz im Gegensatz zu vielen ländlichen Ortsgruppen. Die Spannungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten begleiteten die Schweizer Naturfreunde über lange Zeit und es kam immer wieder zu Konflikten. 1951 beschloss der Verband, ab sofort keine Mitglieder der kommunistischen Partei mehr aufzunehmen. 1953 wurde die antikommunistische Haltung sogar in die Statuten aufgenommen.