«Seien Sie offen für die Ideen Ihrer Kinder»
Für viele Eltern mit Kindern ist das Thema Umweltschutz eine Gratwanderung. Wie viel ist zuhause genug? Was tun, wenn die Kinder mehr Engagement fordern? Und wie geht man mit den berechtigten Zukunftsängsten um, die die junge Generation heute aushalten muss? Antworten von Fabia Fischli, Leiterin Umweltbildung beim WWF Schweiz.
Klima-Angst betrifft längst nicht mehr nur Klimaforschende, sondern insbesondere auch junge Menschen, wie eine Studie kürzlich gezeigt hat. Wie sollen Bezugspersonen mit solchen Ängsten bei Kindern und Jugendlichen umgehen?
Diese Ängste sollten ernst genommen und thematisiert werden. Gleichwohl ist es wichtig, den jungen Menschen aufzuzeigen, dass für ihre Zukunft nicht einfach alles verloren ist. Jeder und jede ist wirksam und kann mit seinem Handeln die Zukunft beeinflussen. Weder Bagatellisieren noch Resignieren hilft weiter. Hören Sie den jungen Menschen also zu und diskutieren Sie über die vorhandenen Ängste – aber ohne dabei eine Weltuntergangsstimmung zu verbreiten. Erklären Sie dem Gegenüber, dass die Bemühungen für den Klimaschutz etwas bewirken und dass es Hoffnung gibt.
Wie ehrlich soll man mit Kindern über die Folgen des Klimawandels diskutieren?
Kinder sollen ernst genommen und ihre Fragen ehrlich beantwortet werden. Es bringt nichts, die Augen vor den Problemen zu verschliessen oder die Situation zu beschönigen. In Diskussionen mit Kindern ist es jedoch wichtig, dass man sie nicht für die Lösung globaler Probleme verantwortlich macht. Natürlich muss noch viel mehr getan werden und wir müssen das Tempo beschleunigen. Aber alles einfach an die nächste Generation abzuschieben, ist nicht fair.
Ist es eine gute Idee, Kinder an Klimademos mitzunehmen?
Das kann der WWF nicht für die Eltern entscheiden. Die Klimademos sind ein möglicher Weg, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen und der Klimajugend haben wir viel zu verdanken. Die Klimademos sind für Kinder und Jugendliche ein anschaulicher Ort für Politik. Diese stellt entscheidende Weichen für die Zukunft unserer Lebensgrundlagen. Wenn sich Kinder für den Klimaschutz engagieren wollen, dann steht einer Demoteilnahme nichts im Weg. Es kann auch helfen, vorhandenen Ohnmachtsgefühlen entgegenzuwirken, wenn die Kinder sehen, dass sie mit ihren Anliegen nicht alleine sind.
Was tun, wenn Kinder strengere Umweltschutzmassnahmen wie etwa veganes Essen und ein Verbot von Flugreisen fordern, als die Eltern zu realisieren bereit sind?
Wir sollten die Verantwortung für die Lösung der Umweltprobleme nicht einfach an die junge Generation übertragen. Seien Sie deshalb offen für die Ideen Ihrer Kinder und probieren Sie selbst auch Neues aus. Sie können dafür Ihren Kindern Verantwortung übergeben: Lassen Sie beispielswiese Ihre Kinder ein veganes Gericht planen, die Zutaten dafür einkaufen und kochen. So profitieren alle.
Wie etabliert man in der Familie neue, möglicherweise etwas mühsame, Regeln, die beispielsweise der Abfallvermeidung dienen?
Erklären Sie ihrem Kind oder ihren Kindern, weshalb Sie diese Regeln einführen wollen. Zeigen Sie Zusammenhänge auf und konzentrieren Sie sich auf jene Regeln, welche auch wirklich etwas bewirken. Der Nutzen von Recycling beispielsweise wird allgemein viel höher eingeschätzt, als er tatsächlich ist. Wählen Sie also lieber wenige, dafür wirkungsvolle Regeln. Zuhause könnte dies beispielsweise sein: Solange man nur ein T-Shirt trägt, wird die Heizung nicht aufgedreht. Oder man versucht als Familie, Food Waste zu reduzieren.
Wieviel Mitspracherecht sollte man Kindern und Jugendlichen einräumen, wenn man als Familie die zuhause geltenden Umweltstandards aushandelt?
Ich halte viel Mitspracherecht für sinnvoll, denn es geht um die Zukunft der Kinder und Jugendlichen. Wenn die Kinder früh lernen, ihre Zukunft mitzugestalten, wird sie dies prägen und darin bestärken, sich für einen nachhaltigen Planeten einzusetzen. Sie stellen fest, dass ihre Stimme gehört wird und dass es sich lohnt, in Entscheidungsprozessen mitzureden. Die Kinder lernen, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen und diese auszudrücken.
Nicht alle Kinder und v. a. Jugendlichen sind schon so genügsam, wie es sich umweltbewusste Eltern vielleicht wünschen. Flugreisen und Markenklamotten sind ja auch Statussymbole, mit denen Zugehörigkeit markiert werden kann. Was sind sinnvolle Kompromisse bei solchen Fragen?
Es sollte nicht darum gehen, alles zu verbieten oder perfekt zu sein. Aber Sie haben viele Möglichkeiten, Ihr Kind für einen umweltbewussten Lebensstil zu inspirieren: Besuchen Sie gemeinsam einen angesagten Secondhandladen. Zeigen Sie ihren Kindern die schönen Seiten von Zugreisen auf – eine Reise ins benachbarte Ausland kann ein grossartiges Abenteuer sein! Begeistern Sie ihr Kind für die Schönheit der Natur. Wenn Kinder die Natur schätzen sollen, müssen sie sie zuerst kennenlernen.
Kinder haben zum Thema Umweltschutz oft sehr gute und kreative Ideen. Und es kann ihnen helfen, mit Ängsten wie etwa der Klima-Angst umzugehen, wenn sie etwas Konkretes tun können und sich als selbstwirksam erleben. Wie können Bezugspersonen diesen Potenzialen sinnvoll Raum geben?
Unterstützen Sie die Kinder dabei, ihre Ideen umzusetzen, vertrauen Sie ihnen und seien Sie stolz auf Ihre engagierten Kinder. Vielleicht kann man die eine oder andere Idee auch im Verein oder der Schule einbringen und während einer Projektwoche realisieren? Zusammen mit der Familie, den Nachbarn oder den Freundinnen erreichen wir viel mehr für unsere Umwelt, als wenn dies jeder für sich allein versucht. Und zusammen macht es auch mehr Spass!
Gemäss einer Studie entwickeln Kinder am meisten Verantwortung gegenüber der Umwelt, wenn sie viel Zeit möglichst unbeaufsichtigt in der Natur verbringen können. In Städten ist das jedoch kaum mehr möglich. Was tun?
Früher hielten sich Kinder mehr in der Natur auf und waren vor allem dabei auch weniger beaufsichtigt. Diesen Freiraum sollten wir ihnen wo möglich zurückgeben. Die Natur lässt sich im Kleinen auch auf einem Balkon, einer Brache oder in einem Hinterhof entdecken. Vielleicht gibt es in Ihrer Umgebung einen Wald, welcher für kleinere Ausflüge geeignet ist? Trauen Sie Ihrem Kind etwas zu und schicken Sie es, wenn möglich auch mal ohne elterliche Begleitung raus – es lohnt sich!