Zwischen Tradition und Wandel
In den 1980er-Jahren schlitterten die Naturfreunde in eine Art Identitätskrise und es herrschte Uneinigkeit in den eigenen Reihen. Die rapide voranschreitende Globalisierung erforderte eine Neuorientierung des Vereins – doch der Richtungswechsel kam nicht bei allen gut an.

Lange Zeit gehörte der «freiheitliche und demokratische Sozialismus» zur Identität der Naturfreunde – 1981 wurde dieses Bekenntnis jedoch aus den Zentralstatuten verbannt und geändert in «politisch und konfessionell neutral». Damit ging eine traditionsreiche Ära zu Ende. Nicht mehr die Arbeiterbewegung stand im Fokus, sondern der Naturschutz. Die Naturfreunde formulierten eine neue Resolution: «Wir haben die Einsicht zu wecken, dass zur bestmöglichen Bewältigung der Umweltaufgaben die Begrenzung oder sogar eine Minderung des sogenannten Lebensstandards erforderlich ist.»1
Die Forderung nach Minderung des Lebensstandards stellte sich als äusserst unbeliebt heraus. Einige Naturfreunde hatten nämlich eine klare Vorstellung davon, wo dabei angesetzt werden sollte: Beim lieben Auto. Im «Naturfreund» der 1980er-Jahre liest man immer wieder Seitenhiebe gegen das Auto und Appelle an die Mitglieder, sich doch auf Alternativen wie den öffentlichen Verkehr oder die eigenen Füsse zu besinnen: «Auch bei den Naturfreunden gibt es nicht nur Idealisten, die allen Versuchungen der Konsumgesellschaft und den weitverbreiteten Vorteilen widerstehen können. So haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten unzählige ein Auto angeschafft, und immer mehr Ausflüge, für die früher die Bahn oder das Postauto benutzt wurden, werden jetzt zumindest bis zum Ausgangspunkt der Wanderung im eigenen Wagen unternommen.» Lilly Blattmann-Dégri2
Beim Thema Auto schieden sich die Geister vereinsintern massiv. 1985 plante die Geschäftsleitung gemeinsam mit der Burgdorfergruppe eine Volksinitiative für autofreie Sonntage. Allerdings stiessen sie dabei auf heftigen Widerstand. Bei einer Umfrage unter den Sektionen sagten 135 Nein zur eigenständigen Lancierung einer Volksinitiative. Lediglich 3 Sektionen stimmten dafür.
Der steinige Weg zurück zur Einigkeit
Diese Uneinigkeit zwischen der Geschäftsleitung und den Sektionen war leider bezeichnend für dieses Jahrzehnt. 1981 kam es zum Eklat, als der TVN-Kongress frühzeitig abgebrochen werden musste. Man konnte sich nicht über die Einrichtung eines Häuserfonds einigen und einige Sektionen fühlten sich übergangen: «Was mir nicht gefiel, waren Zeitungsartikel, welche den Glauben aufkommen liessen, die Verhandlungen seien wegen Zerstrittenheit und aus Verärgerung über die beiden Abstimmungsergebnisse vertagt worden.» Emil Schaffer, Zentralpräsident TVN3
Das führte dazu, dass die Zeitschrift «Naturfreund» als Vereinsorgan mehr Gewicht bekam und sich in der Folgezeit bemühte, möglichst viel Transparenz zu schaffen und die vereinsinternen Strukturen offenzulegen.
Doch Uneinigkeit gab es nicht nur intern. Das Verhältnis der Schweizer mit der Naturfreunde Internationale (NFI) war seit 1985 angespannt: Die Schweizer Delegation hatte ihre Beiträge an die NFI gekürzt, da sie nicht mehr bezahlen wollten als andere Länder. Erst 1988 kam man zu einer Einigung und die Schweizer mussten über die nächsten zehn Jahre 49 000 Franken nachbezahlen.
Auch bei den Naturfreunden gibt es nicht nur Idealisten, die allen Versuchungen der Konsumgesellschaft und den weitverbreiteten Vorteilen widerstehen können.
Diese Versöhnung mit der NFI schien der Auftakt für eine Neuorientierung nach aussen zu sein. Plötzlich lag der Fokus nicht mehr nur auf der Schweiz, sondern auf ganz Europa. Stolz lud man ein zu «1001 Nacht mit den Naturfreunden in 1001 Häusern in Europa»4 und berichtete über grenzüberschreitende Wanderungen. 1989 wurde auch die «Naturfreunde Reisen AG» gegründet, welche naturfreundliche Wander- und Erlebnisferien im In- und Ausland organisierte. Der umfangreiche Reiseprospekt nahm jeweils einen grossen Teil des «Naturfreund» ein.
Wanderboom und Jugendförderung
1980 war das Wandern enorm beliebt und die Naturfreunde erreichten ein Rekordhoch von über 32 000 Mitgliedern. 1982 wurde von der Schweizerischen Verkehrszentrale (SVZ) zum «Jahr des Schweizerwanderns» gekürt, das ein voller Erfolg wurde. Es gab unzählige Aktionen von verschiedenen Organisationen. Die Naturfreunde organisierten unter anderem die «grösste je in der Schweiz durchgeführte Sternwanderung»5 mit über 2150 Teilnehmer:innen.
Nach 1980 brachen die Mitgliederzahlen wieder ein und man beschloss, den Nachwuchs zu fördern: «Von besonderer Bedeutung scheint mir, dass die Jugend in unsere Tätigkeit einbezogen wird. Sie ist besonders der Gefahr ausgesetzt, sich entweder Nachteilen der Technik auszuliefern oder aber allzu einseitig nur ihre landschaftszerstörenden Faktoren auf sich einwirken zu lassen.» Emil Schaffner, Zentralpräsident6
Von besonderer Bedeutung scheint mir, dass die Jugend in unsere Tätigkeit einbezogen wird.
In der Folge führte der «Naturfreund» die Rubrik «Forum der Jungen» ein, um den Nachwuchs zu fördern. Das schien allerdings nicht sehr gut zu laufen, denn nur kurze Zeit später beschränkte sich diese Rubrik grösstenteils auf die Ankündigung der J+S-Kurse.
Doch das war nicht das Ende der Nachwuchsförderung für die Naturfreunde Schweiz: Es gab Kinderbergsteigen, Familienlager und viele weitere Aktivitäten für Kinder und Familien. Dennoch blieb die Jugendarbeit eine harzige Angelegenheit und die Mitgliederzahlen schwanden weiterhin. Doch die Naturfreunde Schweiz gaben nicht auf, denn bei einem Punkt waren sich alle einig: Wir wandern weiter!