Als die Naturfreunde Schweiz grüner wurden
1984 gab es einen politischen Umbruch bei den Naturfreunden Schweiz. Statt der Förderung der Arbeiterschaft rückte neu der Erhalt von Natur und Landschaft in den Fokus der Organisation. Einerseits war dieser Wechsel als Antwort auf die schwindenden Mitgliederzahlen zu verstehen, andererseits war er aber auch exemplarisch für eine generelle Wende in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Doch der Wechsel stiess auf Widerstand.
Die Liebe zur Natur und der Wunsch, sie zu erhalten, gehörten schon immer zur DNA der Naturfreunde, doch in den 1980ern wurden diese Werte zur treibenden Kraft hinter einer stetigen Professionalisierung und Politisierung des Verbandes. Mit der politischen Neuorientierung kam auch ein neuer Name: Aus dem «Touristenverein Die Naturfreunde» wurde «Naturfreunde Schweiz» (NFS). Der Schritt zu mehr politischem Engagement im ökologischen Bereich war allerdings umstritten und spaltete die Mitgliederschaft. Während sich zwar grundsätzlich alle einig waren, dass man die Natur bewahren sollte, herrschte Uneinigkeit über die Ziele und wie diese zu erreichen seien. Viele der langjährigen Mitglieder konnten die abstrakten Forderungen der Umweltschützenden nicht nachvollziehen und wehrten sich gegen die Ökologisierung, welche sie als unpersönlich und zu intellektuell empfanden. Sie waren zufrieden mit dem bisherigen Engagement und legten lieber selbst Hand an, um der Natur zu helfen – wie zum Beispiel bei einer der zahlreichen «Waldputzeten», welche die Sektionen regelmässig organisierten.
Generationenwechsel bei den Naturfreunden Schweiz
1980 verzeichnete der Verein mit rund 32 000 Mitgliedern einen neuen Höchststand, doch die Freude war nur von kurzer Dauer. In den darauffolgenden Jahren ging es nämlich bergab: 1984 waren es 29 000 Mitglieder, zwei Jahre darauf nur noch 27 000. Besonders in den Westschweizer Sektionen kam es zu einem regelrechten Exodus der Mitglieder. Das lag unter anderem auch daran, dass die Naturfreunde auf Sparkurs zuvor einige Landeshäuser abgestossen hatten. Viele Mitglieder empfanden diesen Schritt als Verrat an den ursprünglichen Werten der Kameradschaft und verliessen den Verein aus Protest.
Eine Analyse der Vereinsstrukturen von 1980 zeigte eine Tendenz zu einem hohen Altersdurchschnitt, was die Existenzängste weiter schürte. Insbesondere die jüngeren Mitglieder kritisierten die ihrer Ansicht nach stark verkrusteten und teils konservativen Strukturen im Verein und sehnten sich nach frischem Wind.
Damit standen die Naturfreunde nicht alleine da: Der Wunsch nach Veränderung war zu jener Zeit tief verankert in der Gesellschaft. Sowohl die Frauenbewegung als auch die Anti-Atomkraft- und die Ökologiebewegung gewannen immer mehr an Fahrt, was sich auch auf die Politik auswirkte: 1983 wurde die Grüne Partei Schweiz gegründet.
Die Naturfreunde teilten viele Anliegen der neuen Bewegung, aber nicht alle. Zwar wurde 1984 der Begriff «Sozialismus» aus den Statuten des Vereins gestrichen, doch im Herzen waren immer noch viele Mitglieder Sozialist:innen. Der Politik der Grünen fehlte aus ihrer Sicht die klare Positionierung zu Fragen der sozialen Ungleichheit.
Eine Politik, die nur grün ist, hat für mich weder Hand noch Fuss. Wenn man will, dass die Erde, die Natur, noch lebensfähig ist, dann muss man doch schauen, dass diese Erde sozial geteilt wird.
Kurt Mersiovsky, Redaktor Naturfreund und Leiter Ressort Bildung im Landesverband
Mit den neuen Statuten kamen auch neue Leute in die Führung der NFS, welche die neue Positionierung des Vereins umsetzen sollten: Politiker Silvio Bircher wurde Zentralpräsident und Ökonom Rudolf H. Strahm übernahm den Posten des Chefbuchhalters.
Nach aussen hin war der Image-Wechsel schnell getan, doch intern ging die Veränderung harzig voran. Einige Sektionen stellten sich klar gegen das neue grüne Selbstbild des Verbands.
Mitarbeit an Volksinitiativen
In den 80er-Jahren engagierten sich die NFS verstärkt für politischen Aktivitäten, um Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu fördern. Unter anderem beteiligten sie sich an einer Sammelaktion für einen Landschaftsschutzfonds. Bei diesem und anderen Projekten arbeiteten die NFS eng mit diversen Naturschutzorganisationen zusammen.
Unterstützt von den Naturfreunden wurde 1983 die «Volksinitiative zum Schutz der Moore» lanciert, bei welcher es primär darum ging, den geplanten Bau eines Waffenplatzes des Militärs mitten in einer Moorlandschaft zu verhindern. Die auch als «Rothenthurm-Initiative» bekannte Vorlage gelangte 1987 zur Abstimmung und wurde angenommen. Dank dieses bedeutenden Sieges gelten Moore und Moorlandschaften seither als Schutzobjekte und dürfen nicht bebaut werden.
Auch für den Gewässerschutz setzte sich der Verein aktiv ein: 1983 lancierte der Schweizerische Fischerei-Verband die «Volksinitiative zur Rettung der Gewässer». Ziel der Initiative war es, natürliche Gewässer samt ihren Uferbereichen umfassend zu schützen und belastete Gewässer zu sanieren. Die Initiative kam 1992 zur Abstimmung, wurde aber deutlich abgelehnt. Allerdings wurde ein neu ausgearbeitetes Gewässerschutzgesetz angenommen, was zumindest einem Teilerfolg gleichkommt.
Zur ersten politischen Bauchlandung des neuen Vorstands kam es, als Zentralpräsident Silvio Bircher 1985 eine Initiative für autofreie Sonntage lancieren wollte. Das eigene Auto und die damit verbundene Mobilität für die Arbeiterschaft galt als eine der grossen Errungenschaften der Arbeiterbewegung und die alteingesessenen Naturfreund:innen waren keineswegs bereit, eine Einschränkung dieser erkämpften Freiheit zu unterstützen und wehrten sich dagegen, sodass es nicht zur Initiative kam.
Ab 1986 wurde das Thema Umweltpolitik im Vereinsmagazin Naturfreund auf Initiative von Strahm immer präsenter. Der Verein bezog öffentlich Stellung zu heiklen umweltpolitischen Fragen, was zu einer Flut von Leserbriefen führte. Viele davon waren harsche Kritik, manche forderten hingegen eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Themen der Umweltpolitik und eine klare Positionierung der NFS.
Der politische Umbruch der Naturfreunde war ein harter Kampf, sowohl extern als auch intern. Der Verein konnte viele Erfolge feiern, musste aber auch Niederlagen einstecken. Der radikale Kurs der neuen Vereinsführung schien jedoch aufzugehen: Ab 1987 ging es wieder deutlich aufwärts mit den Mitgliederzahlen und 1991 waren es erstmals wieder über 30 000 Naturfreund:innen.
Nach insgesamt sechs Jahren im Amt blickte Strahm mit gemischten Gefühlen auf diese Zeit zurück:
Es war die schwierigste und undankbarste Aufgabe in meinem Leben. Vielleicht habe ich mir zu viel vorgenommen und vielleicht auch unterschätzt, was es heisst, einen traditionellen Verband der Arbeiterbewegung umzupolen.
Insgesamt spielten die NFS in den 1980er-Jahren eine wichtige Rolle bei der Förderung des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit durch ihre politischen Aktivitäten. Ihre Bemühungen trugen dazu bei, das Bewusstsein für Umweltfragen zu schärfen und positive Veränderungen in der schweizerischen Umweltpolitik herbeizuführen.
Schumacher, Beatrice: 100 Jahre Naturfreunde Schweiz – engagiert unterwegs. (2005)
Albin Schmidhauser: Entwicklung und Aktivitäten wichtiger Naturschutzorganisationen von gesamtschweizerischer Bedeutung – von ihren Anfängen bis zur Verabschiedung des Waldgesetzes 1991. (1991)