Frauen bei den Naturfreunden – Ein Blick zurück auf die Frauenbewegung des frühen 20. Jahrhunderts
Die Naturfreunde gingen aus der Arbeiterbewegung hervor. In dieser Zeit des politischen und sozialen Umbruchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts sahen sich insbesondere auch die Frauen mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Bei den Naturfreunden fanden sie ein Zuhause und Gleichgesinnte.

Das Schweizer Gesetz um 1900 kannte für Frauen nur eine Rolle: Ehefrau und Mutter. Die Realität hingegen sah ganz anders aus. 1910 arbeiteten rund 47 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren, wobei mehr als zwei Drittel von ihnen ledig war.
Zwar gab es einige Vereinigungen, die sich um die Rechte der Frauen bemühten, wie z. B. der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (BSF), doch diese Vereinigungen kümmerten sich hauptsächlich um die Bedürfnisse der bürgerlichen Frauen. Sie kämpften unter anderem für Gleichheit im Eherecht, eigene Vermögensverwaltung sowie politische Repräsentation. Einer der Tätigkeitsschwerpunkte war auch die Sittlichkeitsbewegung, die sich dem Kampf gegen die Prostitution widmete, welche als Bedrohung der Familie und als Symptom des Zerfalls der bürgerlichen Ordnung galt.
Die Frauen aus der Arbeiterklasse hatten derweil jedoch ganz andere Probleme und waren hoffnungslos unterrepräsentiert. Viele Arbeiterinnen waren arm und auf Unterstützung angewiesen. Manche mussten arbeiten, weil das Gehalt des Ehemanns nicht ausreichte, um die Familie zu versorgen. Für sie ging es nicht um «Wohlstandsprobleme» wie Gütertrennung und Moralität, sondern ums Überleben. Ohne Rechte wurden sie von den Arbeitgebern ausgenommen und als billige Arbeitskräfte verschachert. Erst die proletarische Frauenbewegung nahm sich der Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen in der Industrie an. Die Arbeiterinnenvereine waren von Anfang an Teil der sozialistischen Bewegung und wurden gegründet, weil die meisten frauenspezifischen Berufe in den Gewerkschaften keinen Platz fanden.
Diese Frauenrechtlerinnen wollten nicht einfach nur Almosen der bürgerlichen Frauenvereine, sie forderten eine Veränderung des politischen und wirtschaftlichen Systems, um die Lebensumstände der Arbeiterinnen nachhaltig zu verbessern. Für sie war eine Emanzipation der Frau gleichbedeutend mit der Befreiung der Arbeitenden, also den Zielen der sozialistischen Bewegung. Tatsächlich verschmolz der Schweizerische Arbeiterinnenverband (SAV) 1917 mit der Sozialdemokratischen Partei (SPS), wobei die frauenspezifischen Forderungen der Partei immer weiter in den Hintergrund rückten.
Der 1. Weltkrieg brachte eine massive Verschlechterung der Lebensqualität der arbeitenden Bevölkerung mit sich, was schliesslich zu Unruhen und einer Radikalisierung im Klassenkampf führte. Dieser Konflikt gipfelte im Generalstreik von 1918, als 250 000 Arbeiter:innen ihre Arbeit niederlegten. Eine der neun Forderungen der Streikenden war das Frauenstimmrecht – allerdings warteten die Frauen weiterhin vergeblich darauf. Ihnen stand noch ein langer Kampf bevor, bis sie 1971 endlich das Stimm- und Wahlrecht erhalten sollten.
Frauen bei den Naturfreunden
Im Gegensatz zu bürgerlichen Vereinen gewährten sozialistische Gruppierungen auch Frauen den Zutritt zum Verein. Die Naturfreunde waren ebenfalls eng mit der Arbeiterbewegung verbunden und daher den Anliegen der Arbeiterinnen gegenüber aufgeschlossen. Doch auch dies war ein Prozess, denn zu Beginn der Bewegung sprachen die Naturfreunde vor allem junge ledige Männer an – Frauen waren höchstens als Gäste dabei. Dies änderte sich erst, als der Verein sich auf den Ausbau von festen Ortsgruppen konzentrierte – dabei waren sie nämlich auf die Stabilität und Sesshaftigkeit der Verheirateten angewiesen. Mit den Männern kamen allmählich auch die Ehefrauen zum Verein. 1912 beschloss die Ortsgruppe Schaffhausen daher, auch Frauen als Mitglieder aufzunehmen. Die meisten Frauen fanden ihren Weg in den Verein über die Familienbande – sie waren Ehefrauen, Töchter oder Schwestern der Mitglieder und wurden so mit eingebunden. Tatsächlich nahmen viele dieser Frauen später eine tragende Rolle im Vereinsleben ein, wobei in der Schweiz nur sehr wenige als Funktionärinnen aktiv wurden. Speziell im Landesverband waren die weiblichen Mitglieder stark untervertreten. Dies ist aber nicht weiter verwunderlich, denn im Gegensatz zu den Männern, die den Einstieg oft über den Beruf oder die Gewerkschaft fanden, kamen Frauen nur selten aufgrund ihrer politischen Einstellung zum Verein – sie konzentrierten sich auf die sozialen Aspekte des Vereinslebens.
Die jungen Töchter in unseren Reihen haben ja der Arbeit, der Freude und Anregung so viel. Was sie bindet, ist schon Fortschritt, was sie denken, reden, tun, ist schon Zukunft, was sie vollbringen, ist Kulturarbeit für das werdende Geschlecht.
Frida Spindler, Berg frei, 1932
Nach 1920 wuchs die Naturfreundebewegung rasant an und es kamen auch immer mehr Frauen dazu, da viele der Ausflüge explizit auf Familien abzielten. Auf Fotos aus dieser Zeit sind oft Gruppen von jüngeren Männern und Frauen zu sehen. Gerade in Österreich machten diese Frauen oft sogar rund die Hälfte der Gruppe aus – denn während der Kriegsjahre mussten die weiblichen Mitglieder dort vermehrt Funktionen im Verein übernehmen und blieben auch im Nachhinein aktiv dabei. Für viele junge Arbeiter:innen waren die Naturfreundeausflüge eine gute Möglichkeit, Freundschaften mit Gleichgesinnten zu knüpfen, die aus denselben Verhältnissen wie sie selbst stammten. Sie teilten dieselben Ideale und hofften gemeinsam auf eine bessere Zukunft.
Head-König, Anne Lise: «Frauenerwerbsarbeit», in: Historisches Lexikon der Schweiz. (Stand 2023)
Joris, Elisabeth: «Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (BSF)», in: Historisches Lexikon der Schweiz. (Stand 2023) Meister, Anna: Vom Klassenkampf zur Klassenkollaboration – Geschichte der Schweizer Frauenbewegungen. (2018)
Pils, Manfred: «Berg Frei» – 100 Jahre Naturfreunde. (1994)
Schumacher, Beatrice: 100 Jahre Naturfreunde Schweiz – engagiert unterwegs. (2005)