Blumensaison für Fortgeschrittene
So wie Gemüse und Früchte haben auch Blumen einen Saisonkalender. Nach ihm richtet sich die Slowflower-Bewegung – und bringt damit mehr Nachhaltigkeit ins Geschäft mit Schnittblumen und Topfpflanzen.

Welche Gemüse haben eigentlich im März Saison, ab wann kann man Rhabarber ernten und ist der Kopfsalat, der jetzt erhältlich ist, im Gewächshaus gewachsen oder auf dem Feld? Rhetorische Fragen für diejenigen Konsument:innen, die Wert auf saisonale, regionale und nachhaltige Ernährung legen. Sie wissen selbstverständlich, dass im März in der Regel bereits Freiland-Lauch und Rhabarber geerntet wird, der Kopfsalat aus unbeheizten Gewächshäusern stammt und die eingelagerten letztjährigen Äpfel noch absolut schmackhaft sind. Und kaufen deshalb aus Überzeugung im Frühling auch keine Erdbeeren oder Aprikosen.
Etwas weniger bekannt ist der Saisonkalender von Schnittblumen. Denn Rosen, Tulpen und Nelken sind im Supermarkt ebenso wie im Blumenladen ganzjährig erhältlich, obwohl auch sie selbstverständlich natürliche Blühzeiten haben. Genauer gesagt sind diese Blühzeiten gemeinhin durchaus bekannt, doch erst seit wenigen Jahren gibt es auch einen breiten öffentlichen Diskurs darüber, dass man im Sinne der Nachhaltigkeit auch Schnittblumen und Zierpflanzen besser saisonal und regional kaufen soll.
Zu verdanken haben wir diese Diskussion der sogenannten Slowflower-Bewegung. Sie wurde Anfang der 2000er-Jahre in den USA gegründet und verbreitet sich seit 2019 auch in der Schweiz. Die Bewegung der langsamen Blumen orientiert sich an ihrem grossen Bruder, dem Slow Food. Geht es bei Slow Food um genussvolles, bewusstes, regionales und nachhaltiges Essen, bedeutet das übersetzt auf die Blumenindustrie Regionalität, Saisonalität und Nachhaltigkeit.
Slowflower-Produzent:innen, -Florist:innen und -Blumendesigner:innen verwenden nur biologisch gezüchtetes Saatgut, verzichten auf genmanipulierte Pflanzen sowie Pestizide und chemische Dünger und sie bemühen sich, so wenig Müll wie möglich zu verursachen. So kommt beispielsweise kein Steckschaum zum Einsatz und so wenig Einmalplastik wie möglich. Wenn immer umsetzbar wird zirkulär gewirtschaftet, d. h. es wird nichts fortgeworfen. Gezogen wird nur, was gerade Saison hat und in einer bestimmten Region heimisch ist. Die Blumen und Zierpflanzen, die nach den Slowflower-Prinzipien produziert wurden, werden möglichst in der Nähe verkauft und gehandelt und legen keine langen Wege zurück.
Wieso nicht mal Trockenblumen kaufen
Für die Konsument:innen bedeutet dies, dass es Tulpen nur im Frühling gibt, Rosen nur im Sommer und Nelken von Ende Mai an den ganzen Sommer hindurch. Wer sich auch im Winter zuhause an Blumen erfreuen möchte, setzt auf biologische Slowflower-Trockenblumen, die lange halten und den Charme der Vergänglichkeit, der Blumen so besonders macht, perfektioniert haben.
Schnittblumen, die nach den Prinzipien von Slowflowers produziert werden, kosten mehr als industriell gezüchtete. Faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und der Schutz der Umwelt haben ihren Preis, bei Blumen genauso wie bei Lebensmitteln, Kleidern und Gebrauchsgegenständen.
Für Slowflower-Unternehmerin Maja Bartholet aus Zürich geht es bei dieser Art des Wirtschaftens aber noch um mehr: «Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, als ich das erste Mal selbstgesähte Blumen geschnitten und zu einem Strauss gebunden habe. Es war ein wahnsinnig erfüllendes Gefühl und ich fühle das seit jeher, wenn ich mit Slowflowers arbeite. Meine Blumen lehren mich jede Saison aufs Neue, demütig zu sein und sie weisen mir den Weg in eine entschleunigte Zukunft, die vom Miteinander geprägt ist.» (Aus: Slowflower-Bewegung, Seite 70)
Chantal Remmert (Texte)
Grit Hartung (Fotos)
Wild Gärten & ungezähmte Bouquets
224 Seiten; 40 CHF
Haupt Verlag, Bern, 2022
ISBN: 978-3-258-08293-6

Slowflower-Bewegung e. V. (Hrsg.)
Nachhaltiger Blumenanbau – Gesichter und Geschichten
224 Seiten; 46 CHF
Haupt Verlag, Bern, 2022
ISBN: 978-3-258-08306-3

Das schmutzige Geschäft mit den blühenden Schönheiten
Menschen lieben Blumen. Immer schon, wie etwa Funde aus den Zeiten der Neandertaler zeigen oder Grabbeigaben aus dem alten Ägypten. Auch heute noch kommt kein religiöses oder gesellschaftliches Fest ohne Blumen aus. Starflorist:innen sind heute ähnlich berühmt wie Starköch:innen oder Starcoiffeure und -coiffeusen. Und in Zahlen ausgedrückt: 789 Millionen Franken hat der Detailhandel in der Schweiz gemäss Bundesamt für Statistik 2019 mit Schnittblumen und Pflanzen umgesetzt, 15 199 Tonnen Blumen wurden im gleichen Jahr in die Schweiz importiert und durchschnittlich geben Schweizer:innen 130 Franken pro Person und Jahr für Schnittblumen aus.
Kultiviert und gehandelt werden Schnittblumen in Europa seit dem 19. Jahrhundert. Zwar begannen die Niederlande bereits im 17. Jahrhundert mit dem grossflächigen Anbau von Tulpen, doch das blieb lange Zeit ein lokales Phänomen. Heute hingegen gehören die Niederlande zu den grössten Blumenexporteuren der Welt. Richtig angezogen hat das Geschäft mit den Schnittblumen in Europa nach dem 2. Weltkrieg in den 1950er-Jahren. Die Produktionskosten waren damals extrem niedrig und die Gewinnmargen entsprechend hoch. Diese lukrative Phase endete mit der Energiekrise zu Beginn der 1970er-Jahre. Die Branche fand aber rasch einen neuen Weg, um mit Schnittblumen Geld zu verdienen (wenn auch die Margen nie mehr die Höhe aus den 1950er-Jahren erreichten). Weil Flugzeuge zunehmend als Warentransportmittel verwendet werden konnten, wurde der Anbau von Blumen und Zierpflanzen nach Übersee verlagert. In afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern, in Teilen Chinas oder auch in Israel sind die Temperaturen konstant so hoch, dass Blumen ganzjährig ohne Gewächshäuser oder in ungeheizten Gewächshäusern produziert werden können und das zu unschlagbar günstigen Preisen.
Silke Peters
Der weltweite Handel mit der Blume
224 Seiten; 14 EUR
oekom Verlag, München, 2015
ISBN: 978-3-86581-313-8

Viel Gift ist Bedingung
Diese heutige Blumenproduktion hat mit Gärtnern, wie man es sich gemeinhin vorstellt, nicht mehr viel zu tun. Vieles läuft mechanisch von Computern gesteuert, die Pflanzen wachsen in Nährlösungen statt Erde, Luftdruck, Licht und Temperatur werden permanent kontrolliert und so optimiert, dass die Pflanzen schnell, aber doch nicht zu schnell wachsen. Diese Anbauweise funktioniert nur mit viel Chemie. Pestizide und Fungizide werden in grossen Mengen eingesetzt, gelangen ins Grundwasser, vergiften die Arbeiter:innen, die sie ausbringen müssen und vielfach ohne Schutzkleidung arbeiten und bleiben teilweise als Rückstände auf den Pflanzen bis in unsere guten Stuben hinein nachweisbar.
Die Arbeiter:innen auf den Blumenfarmen in Entwicklungsländern erhalten in den meisten Fällen Löhne, die ihre Lebenshaltungskosten nicht decken, sie haben in der Regel keinen Arbeitnehmendenschutz und die Frauen werden vielfach Opfer von sexueller Gewalt. Händler, die ihre Blumen hingegen unter einem Fairtrade-Label verkaufen, gewährleisten zwar faire Löhne und anständige Arbeitsbedingungen, nicht aber eine ökologische Produktionsweise.
Weil die geschnittenen Blumen von den Feldern rasch in die Läden gelangen müssen, werden sie per Flugzeug transportiert. Bei einem Markt, der jährlich weltweit mehr als 100 Milliarden Euro umsetzt, kommen so einige Flüge zusammen. Pflanzen, die etwas robuster sind als geschnittene Blumen, etwa Topfpflanzen wie der Weihnachtsstern, reisen hingegen mit dem Schiff nach Europa, sie wären für das Flugzeug auch viel zu schwer und zu sperrig. Rund um den Erdball geflogen werden aber nicht nur geschnittene Blumen, sondern auch Stecklinge von vegetativ vermehrten Pflanzen. Europäische Firmen beauftragen Blumenproduzent:innen in Übersee mit der Vermehrung der Stecklinge und lassen diese dann mit dem Flugzeug einfliegen und ziehen sie hier gross bis zum Verkauf.
Es sind – wie immer – Angebot und Nachfrage, die dieses höchst umweltschädliche Geschäftsmodell befeuern. Rosen sollen ganzjährig zu Tiefstpreisen in jeder Tankstelle und jedem Supermarkt verfügbar sein und Topfpflanzen dürfen so exotisch wie nur möglich sein. Das kann – wie immer – nur auf Kosten der Umwelt und der Arbeiter:innen funktionieren.