Gehen ist gut für die Gesundheit
Bewegung in der Natur fördert die Gesundheit von Körper und Geist. Was lange intuitiv bekannt war, wird immer häufiger Gegenstand der Forschung und damit wissenschaftlich beweisbar.

Bewegung in der Natur sei gesund, behaupten Erziehungsberechtigte, medizinisches Personal und andere Gelehrte schon seit Jahrhunderten. Einen Beweis dafür konnten sie, abgesehen von ihren Beobachtungen, nicht liefern, denn es gab schlicht keinen. Erst seit dem 20. Jahrhundert gibt es wissenschaftliche Belege für die gesundheitsfördernde Wirkung von Natur und Landschaft, die den Erziehungsberechtigten und Gelehrten von damals recht geben. Überraschen tut das nun nicht, spannend ist aber, dass Natur nicht gleich Natur, Landschaft nicht gleich Landschaft und Bewegung nicht gleich Bewegung ist. Die gesundheitsfördernde Wirkung eines Spaziergangs im Wald ist also nicht die gleiche wie die einer Promenade über Felder und Wiesen, Joggen fördert die Gesundheit anders als Gehen und um von den gesundheitsfördernden Effekten des Waldes an sich zu profitieren, reicht teilweise bereits ein ausgiebiger Blick auf eine Waldtapete.
Die unterschiedliche Wirkung verschiedener Landschaftsformen auf die psychische Gesundheit erforscht haben die Sozial- und Umweltpsychologinnen Nicole Bauer und Dörte Martens der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. In einer praktischen Untersuchung schickten sie Studienteilnehmende auf einen halbstündigen Spaziergang durch verwilderten oder gepflegten Wald und durch eine Landschaft mit intensiv oder extensiv (d. h. mehr naturbelassen) bewirtschafteten Landwirtschaftsflächen; eine Kontrollgruppe ging derweil gleich lange auf dem Laufband. Ein Resultat der Untersuchung, die 2010 publiziert wurde, gilt in allen fünf Gruppen: Bewegung ist gut gegen depressive Verstimmung – also selbst auf dem Laufband mit Blick auf eine weisse Wand. Weiter hat die Untersuchung ergeben, dass gegen Energielosigkeit ein Spaziergang in einem naturbelassenen Wald hilft, während der Gang durch den gepflegten Wald eher die Besinnlichkeit fördert. Wer innere Ruhe sucht, sollte seine Schritte durch extensiv bewirtschaftetes Agrarland lenken, intensive Landwirtschaft hingegen hebt die Stimmung und den Antrieb.
Doch wie schaffen es diese vier Landschaftstypen, Menschen positiv und vor allem unterschiedlich positiv zu beeinflussen? Bauer und Martens ziehen zur Erklärung dieses Phänomens zwei Theorien hinzu. Die eine ist die psychoevolutionäre Stress-Erholungs-Theorie von Roger S. Ulrich aus den 1980er-Jahren. Sie besagt im Wesentlichen, dass wir uns vom Stress des Alltags am besten erholen können, wenn eine Szenerie in uns Gefühle von leichtem Interesse, Gefallen und Gelassenheit hervorruft. Das ist grundsätzlich in der Natur mehr gegeben als in einer gebauten Umwelt. Der Prozess der Erholung setzt dann ein, wenn wir unsere Blicke über eine wenig komplexe Landschaft schweifen lassen, die unser Interesse erregt und positive Reaktionen hervorruft, die sodann die negativen Gefühle verdrängen. Dabei sinkt der Blutdruck, Herzfrequenz und Muskelspannung nehmen ab und wir fühlen uns mit uns selbst mehr im Reinen. Der Landschaftstyp, der dabei global die besten Resultate hervorruft, ist eine Art Savanne mit Bäumen – aber nicht zu vielen –, Büschen und Wasser. Es ist der Landschaftstyp, in dem wir uns menschheitsgeschichtlich gesehen immer schon am sichersten fühlen.
Die Natur uneingeschränkt geniessen
Die zweite Theorie, die den gesundheitsfördernden Einfluss von Landschaften auf Menschen erklärt, ist die sogenannte Aufmerksamkeits-Erholungs-Theorie von Robert S. Kaplan. Sie geht davon aus, dass es anstrengend ist, sich auf eine bestimmte Sache oder Aufgabe zu konzentrieren, weil man dabei sehr viele andere Reize ausblenden muss. Diese Fähigkeit, Reize auszublenden, nimmt mit der Dauer der Konzentration ab und man wird müde, die Selbstkontrolle wird kleiner und die Fehleranfälligkeit beim Erledigen von Aufgaben grösser. Erholen kann sich die Konzentrationsfähigkeit, wenn die Umgebung bestimmte Eigenschaften aufweist und bestimmte Prozesse in Gang kommen können: «Fascination» (Faszination), sprich die Umwelt fordert unsere Aufmerksamkeit, aber man muss sich bei der Betrachtung nicht anstrengen. «Being away» (weg seiend) meint, dass die Umgebung, in der man sich befindet, den psychischen Abstand von persönlichen Aufgaben und Zielen ermöglicht, zu deren Erreichung eine gerichtete Aufmerksamkeit notwendig ist. «Extent» (Ausmass) bedeutet, dass man die Umgebung als in sich stimmig und sehr weitläufig wahrnimmt. Und schliesslich «Compatibility» (Übereinstimmung), also die Umwelt stimmt mit den eigenen Vorstellungen und Zielen überein. Kaplan, der diese Theorie in den 1980er-Jahren erstmals beschrieben und in den 1990er-Jahren weiterentwickelt hat, geht davon aus, dass diese Kriterien und Prozesse insbesondere von der Natur erfüllt und in Gang gesetzt werden und diese deshalb einen grossen Einfluss auf die menschliche Erholungsfähigkeit hat.
Ein Spaziergang durch einen bewirtschafteten Wald ist ergo deshalb entspannender, weil er nicht so viel Aufmerksamkeit von uns fordert wie ein wilder, naturbelassener Wald, in dem wir eine Fülle von Reizen zu bewältigen haben deshalb und weniger gut «abschalten» können.
Spazieren in der Natur ist aber nicht nur gut für die mentale Verfassung, sondern auch für die körperliche. So werden bei regelmässigen Spaziergängen die Anzahl sogenannter natürlicher Killerzellen im Blut erhöht, die die Immunabwehr stärken und Krebszellen bekämpfen können. Ausserdem kann man mit bloss acht Kilometern Gehen pro Woche die Abnahme der Gehirnleistung bei einer beginnenden Demenz um Jahre hinauszögern.
Und was, wenn man lieber joggt, statt spaziert oder wandert? Dann tut man zwar auch viel für seine mentale und körperliche Gesundheit, verbrennt beispielsweise ein Drittel mehr Kalorien als beim gemütlichen Gehen, muss sich aber bewusst sein, dass es vor allem Zucker ist, der bei einem Zehn-Kilometer-Lauf verbrannt wird, wohingegen beim Spazieren der Fettstoffwechsel angekurbelt wird. Und man belastet seine Gelenke mehr als bei der geruhsamen Fortbewegung auf zwei Beinen.
Wer sich für den Schutz der Natur einsetzt
Neben den positiven Effekten von Landschaften auf die menschliche Gesundheit tut die Natur aber noch viel mehr Gutes für uns. Ein Forschungsteam um die japanische Nachhaltigkeitsforscherin Lam Huynh hat Hunderte Studien analysiert, die sich mit der Stärkung der menschlichen Lebensqualität durch die Natur beschäftigen und hat die 13 wichtigsten, und bis heute bekannte, Mechanismen identifiziert, die beschreiben, wie die Natur das schafft. Neben den positiven Gefühlen und der Wirkung auf die Gesundheit gehört auch der ästhetische Genuss dazu, den die Natur uns bietet, und die psychische Reife, die man erlangen kann, wenn man die positiven Aspekte der Natur erleben kann. Natur ist aber auch identitätsstiftend und kann den sozialen Zusammenhalt unter Menschen stärken, die in einer bestimmten natürlichen Umgebung leben und sich dort wohlfühlen, sie kann zufrieden machen, wenn die Umgebungsform und die Bedürfnisse der Menschen, die darin leben, gut zusammenpassen und sie kann uns gescheiter machen, wenn wir es uns seit der Kindheit her gewohnt sind, die Natur zu beobachten, zu analysieren und ihre Zusammenhänge zu verstehen.
Natur verbindet Generationen in Gemeinschaften, die eng mit der Natur leben und das an ihren bestimmten Lebensraum gebundene Wissen an die Nachkommen weitergeben, sie leistet einen Beitrag an die wirtschaftliche Wertschöpfung des Tourismus und sie liefert symbolisch bedeutsame Produkte, deren Bedeutung über ihren materiellen Wert hinausgehen, wie beispielsweise Trüffel. Schlussendlich erzeugt Natur auch Spiritualität bei Menschen, die natürlichen Erscheinungen eine Bedeutung beimessen und daraus Kraft schöpfen und sie vermittelt Menschen ein Gefühl von Transzendenz, wenn sie in der Natur tiefe Erfahrungen machen, die sich auf etwas beziehen, was sie als «grösser als sich selbst» wahrnehmen. Und wer Wohlbefinden durch die Natur erlebt, setzt sich eher dafür ein, dass sie geschützt wird.