Tödliches Unwissen
Im Juli steht die Tollkirsche am Wegrand. Sie trägt den betörenden Nachnamen Belladonna. Kann man sie essen? Förster:innen nehmen manchmal eine. Vorausgesetzt, sie haben ein absolut […]

Im Juli steht die Tollkirsche am Wegrand. Sie trägt den betörenden Nachnamen Belladonna. Kann man sie essen? Förster:innen nehmen manchmal eine. Vorausgesetzt, sie haben ein absolut gesundes Herz. Sie schmeckt. Das Gift steckt in ihrem Vornamen Atropa – Atropin ist tödlich.
Die Dosis entscheidet. Giftiges wächst in Wiese, Wald und Garten. Daraus entsteht Medizin. Und das Wissen der Pharmazeut:innen, der Ärzt:innen um die Dosis bewahrt uns vorm Sterben.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hatten wir diese Sicherheit nicht. Tausende Jahre mussten vergehen, bis man das wichtigste Merkmal zur Bestimmung und Unterscheidung von Pflanzen erkannte – die Blüte. Das Durcheinander vermeintlicher Merkmale, der Namen, der Synonyme und die ungebremste Fantasie der Zeichner:innen hatten immer wieder verheerende Folgen. Apotheker:innen und Ärzt:innen glaubten zu heilen, – und brachten dabei ihre Patient:innen um.
Europa war besonders übel dran. Hier galt die Lehre der Kirche. Sie bestand aus Magie, abstrusen Vorstellungen über die Natur. Und Verboten. Verboten war die Leichenöffnung, um die Todesursache zu finden, verboten war, zu experimentieren, beides wäre gegen den «göttlichen Willen» gewesen. Das griechische Wissen lag im Vatikan, aber es wurde nicht übersetzt. Die Moslems, die Juden, die Chinesen kamen erheblich weiter. Zwar konnten auch sie keine Pflanze exakt bestimmen, aber ihre Praxis in Experiment und Forschung war frei.
Bescheid aus ihrer Sammel- und Heilpraxis wussten bei uns eigentlich nur die Kräuterfrauen. Als ein Papst 1484 die «Hexenbulle» und das absolute Abtreibungsverbot erliess, landeten auch die Kräuterfrauen auf den Scheiterhaufen. Sie waren die wichtigsten Trägerinnen der Familienplanung.
Natürlich hielten sich viele Pflanzenforschende nicht an die Verbote. Als das 18. Jahrhundert begann, waren die Grundlagen der Pflanzenbestimmung gelegt. 1735 erschien Carl von Linnés «Botanische Nomenklatur». Es dauerte aber noch lange, bis allen Apotheker:innen und Ärzt:innen klar war, dass nur das neue, exakte Wissen sie vor tödlichen Irrtümern schützte. Wissen gilt natürlich auch für uns. In einem einzigen Satz lauert die Lüge. Und zwischen dem Bärlauch der giftige Aronstab.