Ohne sie ist alles nichts
Biodiversität ist für die Menschheit von unschätzbarem Wert und wird gleichzeitig von ihr massiv bedroht. Warum das eine schlechte Idee ist und wie dieser wertvollen Bund des Lebens erhalten werden kann, lesen Sie auf den folgenden Seiten.
Biodiversität ist wichtig, das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Aber warum eigentlich? Was kümmert es uns – von unserer ethischen Verantwortung mal abgesehen –, wie viele verschiedene Schmetterlinge beispielsweise auf einer Wiese herumfliegen und was ändert sich für die Menschheit, wenn die Artenvielfalt der Schmetterlinge oder anderer Tierarten abnimmt? Kurze Antwort: Viel und alles. Lange Antwort: Die Biodiversität ist ein über Milliarden Jahre Erdgeschichte entwickeltes (und sich stets weiterentwickelndes) System, in dem alle Abläufe aufeinander abgestimmt sind, nichts zufällig geschieht und jedes einzelne Puzzleteilchen davon einen bestimmten Platz und eine definierte Aufgabe hat. Stirbt also beispielsweise eine Schmetterlingsart aus, hat das immer Konsequenzen. Sie fehlt dann etwa als Nahrungsquelle für ein anderes Tier oder als Bestäuberin einer bestimmten Pflanze. Sterben diese beiden Betroffenen daraufhin ihrerseits aus, fehlen schon mindestens drei Puzzleteile und damit befinden wir uns bereits am Anfang einer exponentiellen Wachstumskurve.
Aus Sicht der Menschheit ist Biodiversität aber viel mehr als verschiedene bunte Schmetterlinge auf einer Wiese. Viele Ökosystem, also gewissermassen die Unterabteilungen der Biodiversität, erbringen für die Menschen unentbehrliche wirtschaftliche Leistungen – und nicht wenige davon sich für unsere Augen unsichtbar, weil sie von Mikroorganismen erledigt werden. Dazu gehören etwa das Bestäuben von Pflanzen, die Bodenfruchtbarkeit, der Schutz vor Hochwasser, die Reinigung von Wasser und Luft, der Abbau von Schadstoffen sowie die natürliche Schädlingskontrolle.
Diese Leistungen werden gemäss dem Millennium Ecosystem Assessment, einer Studie der Vereinten Nationen über den Zustand von sogenannten Schlüssel-Ökosystemen von 2005, in Versorgungsleistungen, regulierende Leistungen, kulturelle Leistungen und unterstützende Leistungen eingeteilt. Zu den Versorgungsleistungen gehören Nahrungsmittel, Trinkwasser, Energieträger, Kleidungsfasern, Baumaterialien und medizinische Wirkstoffe. Sie alle gibt es nur dank der Vielfalt der Organismen. Vielfalt bedeutet dabei immer auch genetische Vielfalt. Sie ist die Grundlage für die Weiterentwicklung und stete Anpassung von Lebewesen an ihre Umwelt, aber auch für die Entwicklung neuer Nutzpflanzen, Medikamente und Rohstoffe für die Industrie.
Unter den regulierenden Leistungen versteht man die natürlichen Lebensgemeinschaften in Ökosystemen, die CO2 speichern, vor Lawinen und Hochwassern schützen, Erosion verhindern, das Klima regulieren und die Bestäubung von Wild- und Nutzpflanzen sichern.
Die verschiedenen Arten in ihren Lebensräumen tragen zu vielfältigen Landschaften bei, mit denen sich die Menschen identifizieren, in denen sie sich gerne aufhalten und die sie glücklich machen. Dies sind die kulturellen Leistungen der Biodiversität. Und die unterstützenden schlussendlich sind die grundlegenden Leistungen der Ökosysteme, die der Mensch nicht direkt in Anspruch nimmt, die aber alle anderen Leistungen überhaupt erst möglich machen, nämlich unter anderen die Sauerstoffproduktion, die Bodenbildung und -fruchtbarkeit, die Aufrechterhaltung der Nährstoffkreisläufe und des Wasserkreislaufs.
Schützen und bewahren wir demzufolge die Biodiversität nicht, verlieren wir nach und nach diese Leistungen und damit unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten.
Der lange Weg ist noch lange nicht zu Ende
Naturschutz geht in Europa auf die Epoche der Romantik mit ihrer Verklärung der Natur vom Ende des 18. bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Laufe des 19. Jahrhunderts lebten die Naturwissenschaften so richtig auf und man erkannte die Einzigartigkeit von Pflanzen und Tieren. Schon damals war klar, dass die Artenvielfalt bei übermässiger Nutzung der Natur abnimmt. Diese Diskussion wurde zunehmend politisch, es wurden Forderungen nach staatlichen Massnahmen gegen Artenschwund laut, erste Naturschutzbünde wurden gegründet und zu Beginn des 20. Jahrhunderts richtete man erste Schutzgebiete ein.
International nahm der Artenschutz mit der Biodiversitätskonvention (englische Abkürzung CBD) des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (englische Abkürzung UNEP) von 1993 Fahrt auf. Sie wurde von 196 Staaten, sogenannten Vertragsparteien, unterzeichnet – darunter auch die Schweiz. Die Vertragspartner sind völkerrechtlich zur Umsetzung des Abkommens verpflichtet, jedoch nicht gezwungen. Die CBD wird ungefähr alle zwei Jahre erweitert. 2010 riefen die Vereinten Nationen die Jahre 2011 bis 2020 zur «UN-Dekade der Biodiversität» aus und definierte 20 Kernziele, die bis 2020 erreicht werden sollten, die sogenannten «Aichi-Ziele». Um das Bewusstsein der Staatengemeinschaft für die Bedeutung von Biodiversität neben anderen umwelt- und klimapolitischen Themen zu stärken, hat die UNO 2010 die Schaffung des Biodiversitätsrates «Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen» (englische Abkürzung IPBES) beschlossen. Ähnlich wie der Weltklimarat, der die Regierungen wissenschaftlich über den Klimawandel berät, soll die IPBES – quasi ein Weltbiodiversitätsrat – die Entwicklung der natürlichen Artenvielfalt auf der Erde wissenschaftlich erfassen und die Umweltpolitik beraten. 2020 musste die UNO eingestehen, dass sämtliche Aichi-Ziele verfehlt wurden. Die aktuelle Biodiversitätsstrategie der UNO nennt sich «30 by 30». Bis 2030 sollen demgemäss mindestens 30 Prozent der für die Biodiversität besonders wichtigen Landflächen und Meere geschützt sein.
Die Schweiz verfolgt seit 2017 den Aktionsplan Biodiversität. Die Ziele, die darin festgelegt sind, mussten im Bilanzjahr 2020 insgesamt als verfehlt deklariert werden. Mittlerweile ist die Schweiz, was den Zustand der Biodiversität angeht, gar das Schlusslicht aller Länder in Europa. 2020 wurde deshalb die Biodiversitätsinitiative eingereicht, die von den Naturfreunden Schweiz unterstützt wird. Diese geht dem Bundesrat zu weit, er hat deshalb einen Gegenvorschlag ausgearbeitet. Bis diesen Frühling hat er Zeit, die Stellungnahmen dazu zu sichten und zu analysieren. Dann muss er den überarbeiteten indirekten Gegenvorschlag inklusive Botschaft dem Parlament vorlegen. Die darauffolgenden parlamentarischen Debatten werden zeigen, in welche Richtung sich der Gegenvorschlag entwickelt. Erst danach wird das Initiativkomitee entscheiden, ob ein Rückzug der Biodiversitätsinitiative in Frage kommt oder ob es eine Volksabstimmung braucht.
Das Festival der Natur der Schweiz vom 18. bis 22. Mai 2022 anlässlich des Internationalen Tags der Biodiversität am 22. Mai vereint Veranstaltungen zu Themen der Natur, Artenvielfalt, Biodiversität und Ökologie. Organisationen und Veranstaltende können Events in der Festival-Datenbank anmelden. Mögliche Naturveranstaltungen können sein: Exkursionen, Wanderungen, Referate oder Informationsstände u. a. m. Der Verein «Festival der Natur» freut sich, wenn sich Naturinteressierte und Organisationen aus Naturschutz, Landwirtschaft und Tourismus für das Festival der Natur engagieren und eine oder mehrere Veranstaltungen durchführen.
Dieses Jahr bietet das Festival der Natur einen Themenschwerpunkt «Ökologische Infrastruktur». Er soll dazu beitragen, in der Bevölkerung Neugier und Verständnis zu wecken für die Ökologischen Infrastruktur.
Veranstaltende werden bei Anmeldung und Organisation gerne unterstützt. Der Leitfaden, der Veranstaltende Schritt für Schritt durch den Anmelde- und Registrierungsprozess führt, ist hier zum Download bereit. Für Fragen und Informationen steht das Organisationsteam via koordination@festivaldernatur.ch zur Verfügung.
Alle Informationen unter www.festivaldernatur.ch
Der Garten der Erkenntnisse
Es waren sehr weitsichtige Beteiligte aus Tourismus, Naturschutz und Forschung, die 1927 den Botanischen Alpengarten auf der Schynige Platte im Berner Oberland gründeten. In einer Zeit, in der die Diskussionen um den Artenschutz weltweit schon voll im Gang waren, wurde der Garten mit Unterstützung der Bevölkerung, des Botanischen Gartens Bern und dem heutigen Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern angelegt mit dem Ziel, eine grösstmögliche Zahl von Arten und Unterarten von Alpenpflanzen aus der Schweiz und unmittelbar angrenzenden Gebieten anzusiedeln und ihre Lebensbedingungen zu erforschen.
Heute wachsen dank dieser Weitsichtigkeit im nach wie vor wissenschaftlich geführten botanischen Garten Pflanzen, die anderswo nur noch schwer zu finden und stark gefährdet sind. Die mehr als 750 Arten, die heute auf der Schynige Platte gedeihen, stellen damit einen einzigartigen Einblick in die Biodiversität eines Teils des europäischen Alpenraums dar, wie er in dieser ganzen Pracht ausserhalb dieser «Schutzzone» wahrscheinlich für immer verloren ist.
Damit diese Pflanzen hier gedeihen können, muss ihr natürlicher Lebensraum so genau wie möglich nachgebildet werden. Bodenbeschaffenheit, Exponiertheit des Standortes, natürliche Pflanzengemeinschaften – jedes Detail zählt. Deshalb wachsen im Alpengarten beispielsweise die Gräser so, wie sie auch auf Alpweiden oder an Wildheuhängen vorkommen. Das bedeutet aber, dass die Gartenpflege etwa auch das Wildheuen umfasst. Dieses gehört deshalb nicht nur zum Kulturgut der Alpenländer, sondern trägt auch zur Erhaltung der Biodiversität bei.
Entstanden ist diese Biodiversität in den Jahrhunderten, in denen die Alpweiden von Mensch und Tier sanft genutzt wurden. Nur wenn Kühe, Schafe und Ziegen auf Alpweiden grasen oder der Mensch sich ums Heuen kümmert, gibt es genug Platz und Licht für eine Vielfalt an Alpenflora. Werden die Wiesen sich selbst überlassen, verbuschen sie in kürzester Zeit und die Biodiversität nimmt ab. Eine zu intensive Nutzung durch Menschen und Tiere führt zum selben Resultat. Werden die Wiesen dauernd niedergetrampelt und durch die Ausscheidungen der Tiere überdüngt, geht die Pflanzenvielfalt ebenfalls zurück.
Ein sehr aktueller Forschungsschwerpunkt im Botanischen Alpengarten ist der Klimawandel. Untersucht wird dabei, sehr verkürzt gesagt, wie sich die Erwärmung, aber auch unterschiedliche Niederschläge und Nährstoffeinträge auf die Entwicklung von Pflanzengemeinschaften auswirken.
Die Vielfalt auf dem Teller
Wie viele verschiedene Apfelsorten konsumieren Sie regelmässig? Wenn Sie ausschliesslich bei den Grossverteilern einkaufen, sind es vermutlich um die sechs Sorten. Und das, obwohl es in der Schweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch 3000 verschiedene Apfelsorten gab und weltweit sogar 20 000. Seither kennt die Vielfalt der Nutzpflanzen jedoch nur eine Entwicklungsrichtung: die Abnahme. Gemäss der Welternährungsorganisation FAO sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts 75 Prozent der pflanzengenetischen Vielfalt weltweit verloren gegangen. Von heute noch 50 000 essbaren Pflanzensorten sichern gerade mal 30 die Welternährung.
Gründe für diesen Verlust der Vielfalt gibt es viele: Die Landflucht in vielen Gegenden der Welt etwa gehört dazu und natürlich der Klimawandel. Bedeutender sind jedoch politische und wirtschaftliche Gründe. Die durchrationalisierte industrielle Landwirtschaft, die Privatisierung von Saatgut durch wenige weltweite Grosskonzerne sowie die Möglichkeit der Patentierung von gentechnisch veränderten Pflanzen gehören zu den wichtigsten. Zum Glück wächst seit einigen Jahren der Widerstand gegen Patente auf Saatgut und Leben rund um den Globus; bis alle Gesetze weltweit geändert und alle Schlupflöcher darin gestopft sind, wird dieser Kampf aber noch andauern müssen.
Gegensteuer gegen diesen massiven Verlust an Biodiversität und genetische Vielfalt geben in der Schweiz auch Organisationen wie unter anderen Pro Specie Rara, Slow Food Schweiz, Fructus und Bio Suisse, aber auch alle Bäuerinnen und Bauern, die aus Überzeugung auf Sortenvielfalt setzen.
Eine besondere Initiative im Einsatz für den Erhalt der kulinarischen Biodiversität der Schweiz ist das Culinarium Alpinum in Stans, das seit 2020 im ehemaligen Kapuzinerkloster tätig ist. Neben dem Herbergsbetrieb mit konsequent regional orientiertem Restaurant wird im Culinarium ein internationales Kompetenzzentrum für die Regionalkulinarik des Alpenraums aufgebaut. Im Zentrum steht die «Wiederentdeckung, Förderung und Weiterentwicklung der Produktevielfalt und der Biodiversität sämtlicher essbarer Ressourcen des Alpenraums», so die Worte des Zentrums. Dieses Wissen soll etwa in Vorträgen, Kursen, Führungen, Degustationen, Kochkursen und Kräuterwanderungen allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden.
Daneben ist im Klostergarten eine Essbare Landschaft am Entstehen. In diesem Garten werden verschiedene, fast vergessene alpine Obst- und Beerensorten angebaut, aber auch Nutzsträucher, Blumen und Kräuter. In einem der Gewölbekeller des vormaligen Klosters hat zudem der Alpsbrinz eine Heimat gefunden und im Klosterladen kann man alle Köstlichkeiten erstehen, die im Culinarium selbst entstehen oder von den zahlreichen Partnerbetrieben aus der ganzen Innerschweiz produziert werden.
Wer mehr über das CULINARIUM ALPINUM wissen möchte oder einen Besuch dort plant, findet unter www.culinarium-alpinum.com alle wichtigen Informationen.
Unsere Biodiversität, mein Beitrag
Für eine intakte Biodiversität benötigt die Schweiz gemäss einer Studie des Forums Biodiversität Schweiz von 2013 insgesamt etwa einen Drittel ihrer Landesfläche (im Moment sind erst knapp die Hälfte davon geschützt oder schwach geschützt). Diese Fläche muss aus verschiedenen Landschaftstypen bestehen: Feuchtgebiete, verschiedene Wälder, ökologisch hochwertige Landwirtschaftsfläche, unberührtes Hochgebirge, Wiesen, Weiden, Flüsse, Auen usw. Wichtig ist dabei, dass die Flächen nicht zu stark zerstückelt sind und es sogenannte Vernetzungsgebiete gibt, die die Schutzflächen miteinander verbinden. Ein Teil dieser Fläche – insbesondere des Agrarlandes – gehört Privatpersonen. Es ist also weitgehend ihre persönliche Entscheidung, diese Flächen ökologisch wertvoll zu bewirtschaften oder zu gestalten. Genauso verhält es sich mit privaten Gärten, Balkonen, Fassaden und Dächern, bei denen die Besitzenden selbst entscheiden, ob sie sie ökologisch wertvoll gestalten oder nicht. Will die Schweiz also dereinst ihre Biodiversitätsziele erreichen, ist sie auf die Unterstützung der Bevölkerung und die Zusammenarbeit mit Privatpersonen angewiesen.
Gerade mit der Bepflanzung von Gärten und Balkonen kann man privat mit relativ wenig Aufwand einen Beitrag zur Biodiversität leisten, wenn man Pflanzen wählt, die Insekten, Vögel und andere Tiere mögen und brauchen. Solche kleinen, naturnah gestaltete Grünflächen bilden als sogenannte Trittsteinbiotope über ganze Quartiere oder Siedlungen hinweg für Fluginsekten eine wertvolle ökologische Infrastruktur, auf der sie sich verbreiten und vermehren können.
Damit die Bepflanzung möglichst wertvoll ist für den Standort und die Insekten, lohnt es sich, vor der Arbeit genau abzuklären, welche Wildpflanzen an diesem Ort heimisch sind und gut gedeihen. Ein solch umfassendes Informationssystem bietet etwa der Verein Floretia an. Auf der Webseite www.floretia.ch kann man in allen vier Landessprachen für den eigenen Balkon oder Garten einzelne Pflanzen oder ganze Bepflanzungen suchen und bestimmen lassen. Dazu macht man möglichst genaue Angaben zum Ort, den man bepflanzen will: Die Postleitzahl und die genaue Höhe, ob ein Standort eher sonnig oder schattig, trocken oder feucht ist, ob die Pflanzen essbar oder pflegeleicht sein sollen, ob sie bestimmte Tiergruppen fördern soll, und wenn ja, welche, sowie die bevorzugte Blütenfarbe und -zeit. Wichtig sind auch die Angaben zur Beschaffenheit des Bodens: sauer oder basisch, karg oder nährstoffreich. Wer das spontan nicht weiss, erhält von Floretia gleich noch Tipps, wie die Beschaffenheit einfach zu bestimmen ist. Sind alle Angaben gemacht, übernimmt die «automatische Ökologin» und spuckt sogleich eine Liste von einheimischen Wildpflanzen aus, die auch wildwachsend Pflanzengemeinschaften bilden, zu den Kriterien und zum Standort passen und dort auch heimisch sind. Dazu erhält man Tipps zu Pflanzung und Pflege sowie Angaben, wo man in seiner Region Wildpflanzen und Saatgut beziehen kann.
Was sind neben der Förderung der Artenvielfalt die Vorteile eines Naturgartens mit Wildpflanzen? «In einem gesunden Naturgarten ist fast jede Fläche mit einer vielfältigen, mehrjährigen Pflanzengesellschaft bedeckt. Unbewachsene Flächen entstehen kaum und jäten ist damit nur selten nötig. Das hat zwei positive Effekte: Einerseits behält der Boden seine Qualität, weil er weder von einer einseitigen Bepflanzung ausgelaugt noch ungeschützt vom Regen ausgewaschen oder von der Sonne ausgetrocknet wird. Kunstdünger ist nicht nötig. Der Boden wird auf- und nicht abgebaut, und er speichert dadurch deutlich mehr Kohlenstoff. Genauso speichern die grösstenteils mehrjährigen Pflanzen viel mehr Kohlenstoff in ihrem Holz und ihren Wurzeln als einjährige Bepflanzungen. Andererseits verdunstet auch weniger Wasser und das einfallende Sonnenlicht wird von den Pflanzen absorbiert, statt in Wärme umgewandelt, was einen Kühlungseffekt zur Folge hat», so Daniel Ballmer, Umweltwissenschaftler und Geschäftsleiter des Vereins Floretia.
Wer mehr über Wildpflanzengärten wissen möchte, findet nachfolgend ein kurzes Erklärvideo von Floretia. Der Verein bietet neben der digitalen Pflanzensuche auch Beratungen vor Ort und Komplettplanungen an, sowie diverse Kurse zu Gartengestaltung und Wildbienennahrung.
Natürlich und günstig
Die Biodiversität schwindet weltweit. Der Living Planet Index des WWF beschrieb 2014, dass die Artenvielfalt auf der Erde allein zwischen 1970 und 2010 um 52 Prozent zurückgegangen sei. Und gemäss dem Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES über den Zustand der Ökosysteme und ihre Artenvielfalt von 2019 sind aktuell zirka ein Viertel aller Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, das sind eine Million Arten – man spricht auch vom sechsten Massensterben in der Geschichte des Lebens. Im Prinzip ist es zwar völlig normal, dass Arten aussterben. Von allen Arten, die je auf der Erde gelebt haben, sind 95 Prozent ausgestorben. Das ist der Lauf der Evolution: Arten sterben aus, neue entwickeln sich. Das Problem heute ist jedoch, dass die Geschwindigkeit, mit der die Arten aussterben, massiv zugenommen hat. Durchschnittlich lebt eine Art ein bis zwei Millionen Jahre. Seit einigen Jahrzehnten ist diese Lebenszeit jedoch 100- bis 1000-mal kürzer.
Zu den wichtigsten Ursachen für diese Entwicklung gehören der Klimawandel, die extensive Landwirtschaft und Überfischung, die Zerstörung von Lebensräumen, die Verdrängung einheimischer durch invasive Arten sowie die Einschleppung von Krankheitserregern. Bekäme die Menschheit diese Ursachen in den Griff und könnte der Artenschwund gestoppt werden, würden sich über die Zeit wieder neue Arten entwickeln.
Manchmal würde es schon genügen, wenn man die Natur einfach machen liesse. Das zeigt eine Studie, die Ende 2021 in der Fachzeitschrift Science erschienen ist. Ein internationales Team von Tropenökologinnen und -ökologen hat dafür die natürliche Regeneration von tropischen Wäldern in Lateinamerika und Westafrika untersucht, die davor forstwirtschaftlich oder als Weiden genutzt wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass diese Wälder in der Lage sind, sich innerhalb von nur 20 Jahren beinahe vollständig zu regenerieren und zuzuwachsen. Nach dieser Zeitdauer sind bereits fast 80 Prozent der Bodenfruchtbarkeit, Kohlenstoffspeicherung und Baumvielfalt von Urwäldern erreicht. Ein wichtiger Aspekt dieser Regeneration ist dabei ein bereits bekannter Mechanismus: Alte, bestehende Flora und Fauna des Waldes unterstützt die neue Generation beim Wachstum. Diesen natürlichen Prozess nennt man auch sekundäre Sukzession. Damit sich die gesamte Biomasse regenerieren kann, muss man laut den Forschenden mit 120 Jahren rechnen, die Artenvielfalt in der Pflanzengemeinschaft und der Tierwelt erreicht nach 60 Jahren ihren ursprünglichen Zustand.
Die Studie zeigt auch, dass diese Art der natürlichen und kostengünstigen Verjüngung zu positiveren Ergebnissen führt als Massnahmen der Aufforstung im Hinblick auf die biologische Vielfalt, den Klimaschutz und die Rückgewinnung von Nährstoffen. Die Menschheit müsse nicht unbedingt mehr Bäume pflanzen, wenn die Natur das von selbst tue, so die Botschaft eines der beteiligten Wissenschaftler.