Schneeschuhwandern im Jura
Was definiert die Schweiz ausser Banken und Uhren, Schokolade und Nescafé? Berge natürlich. Seit sich ein paar kräftige Bergbauern auf einer grünen Matte am blauen Vierwaldstättersee Freiheit und Beistand schwuren. Seit jenen fernen Tagen gibt es einen Staat in den Alpen. Später vergrösserte er sich ums Mittelland und ein anderes Gebirge, nämlich den Jurabogen. Wer aber Schweizer Berge sagt, meint fast immer die Schweizer Alpen. Dabei wartet auch der Jura mit besonderen Bergen auf. Hier sind ein paar zu entdecken.
Matterhorn/Cervino/Mont Cervin ist der südlichste Zacken des schweizerischen Röstigrabens. Und wie heisst der nördliche? Ich machte mich südlich der Grenze zu Frankreich auf frisch verschneiten Wegen auf die Suche und fand gleich zwei Berge, den nördlichsten und den ersten französischsprachigen. Der Rieji (693 m) ist auf der Rückseite bloss ein bewaldeter Hügel am Dorfrand von Roggenburg im Kanton Baselland. Aber gegen Süden, gegen Ederswiler im Kanton Jura, bricht er mit Felsen ziemlich eindrücklich ab. Südlich des Dorfes erhebt sich eine nächste Jurafalte, die Haute Aibaiteuse (858 m). Von ihr stieg ich durch Pulverschnee und Sonne ins Dorf Movelier hinab. Das Schild vor dem Restaurant du Soleil verkündete zweisprachig den sogenannten Wirtesonntag. Im Einkaufsladen nebenan wurde in der Hinterstube Kaffee serviert; ein auf die Wand gemaltes Fenster gibt den Blick frei – aufs Matterhorn.
Freudige Kälte
«Der Mensch lässt sich von Schnee, Kälte und Rauhreif nicht mehr in die Stube bannen», frohlockte Alfred Flückiger in «Du jauchzende Winterlust! Skizzen von Winter, Frost und Sonne». Und 1934 doppelte der unermüdliche Schweizer Sänger der Schönheiten der kalten Jahreszeit mit «Schneevolk» nach: «Wunder des Schnees! Man möchte selbst zu einer Schneeflocke werden, die tanzt und strahlt und über die Welt hüpft.» Wenn heute die Schneeschuhläufer:innen durch den Schnee hüpfen und stapfen, so ergeht es ihnen vielleicht so: Auf einmal kann man sich ganz anders durch den Winter bewegen, an der Sonne, zwischen den Baumstämmen, hoch über dem Alltag. Natürlich gibt das Hunger. Man kann ihn zum Beispiel in der Bergerie La Joux zwischen Moutier und Court im Berner Jura stillen; sie liegt etwas unterhalb des Mont Girod (1044 m).
Mont Girod? Überhaupt die Gipfel im Jura. Kennen wir ihre Namen, ihr Aussehen? Hirnichopf oder Crêt du Cervelet (nicht Cervelat) – noch nie gehört! Immerhin gibt es zwei Jura-Gipfel mit VIP-Ausstrahlung. Der Creux du Van mit seinem unverwechselbaren Amphitheater aus Fels, und der Chasseral mit dem Swisscom-Turm oberhalb des breiten, baumlosen Gipfelhangs. Vor dem langen Chasseral-Kamm liegt der Mont Sujet (1382 m), ein rundum stark und oben nur wenig bewaldeter Hügelzug, auf dem mehrere abgerundete Kuppen liegen. Der deutsche Name des Mont Sujet lautet Spitzberg, aber was an diesem Berg spitz ist, erkennt man nicht.
So kann man sich täuschen! Der bewaldete Gipfel Le Point de Vue (1184 m) in den Franches Montagnes ist kein Aussichtspunkt. Beim benachbarten Hof Peu des Vaches sah ich keine Kühe, sondern Pferde. Nur: «Peu» kommt nicht von «peu» = «wenig», sondern vom lateinischen «podium» und bedeutet laut dem Online-Lexikon «Noms de lieux de Suisse romande, Savoie et environs» (henrysuter.ch) «un flanc de colline ou un terrain en pente». Immerhin: Der Weiler Le Creux-des-Biches unten am Hang hat seinen Namen von «biche» = «Hirschkuh». Die Wendung «ma biche» heisst übrigens «mein Schatz». Aber aufgepasst: In Les Vacheries am Beginn unserer Wintertour durch die Freiberge mit dem Abstecher auf die Arête des Sommêtres (1079 m) zwischen Le Noirmont und Saignelégier sollte man nicht «faire une vacherie»: Damit meint man nicht etwa melken oder striegeln, sondern «eine Gemeinheit machen».
Blick auf das welsche Matterhorn
Vielleicht ist diese Frage etwas gemein: Wie viele Pässe in der Schweiz können Sie auf Anhieb nennen? Gotthard, Simplon, Furka, Grimsel, Susten, Klausen, Oberalp, Lukmanier, Flüela und Albula. 10 Strassenpässe, locker aufgezählt. Und jetzt bitte noch ein paar solche vom anderen Gebirge der Schweiz! Ja, hat es im Jura überhaupt richtige Pässe, mit Haarnadelkurven und so? Hat es. Da kann es einem beispielsweise bei der Fahrt über den Col de la Tourne ganz schön schwindlig werden. Auf diesem Übergang zwischen Neuenburger Uferstrand und Hochland warten gepflegte Loipen und Trails sowie unverspurtes Traumgelände. Auf Grand Coeurie (1333 m) oben, auf dem flachen Gipfel und noch mehr an der windgeschützten Fassade des prächtigen Alpgebäudes: Da lacht das Schneeschuhherz. Und von den Tablettes (ca. 1288 m) hat man einen eindrücklichen Blick ins Val de Travers und hinüber zum halbrunden Creux du Van, dem Cervin du Jura neuchâtelois. Dem Matterhorn entkommt man nicht in der Eidgenossenschaft, wo immer wir auch durch den Schnee stapfen.
Die Touren
Daten:
WT2+ (für den waldigen Steilabschnitt an der Haute Aibaitteuse), sonst WT1+. Kann bei wenig Schnee auch ohne Schneeschuhe gemacht werden. Sobald man nicht mehr quer über die Felder gehen kann, muss man sich an die Wege halten. 500 m Aufstieg, 310 m Abstieg. 2.30–3 h Gehzeit.
Einkehr:
Neumühle und Movelier.
Startpunkt:
Neumühle/Moulin Neuf (503 m); Postauto von Laufen an der Bahnlinie Biel-Delémont-Basel.
Endpunkt:
Movelier (690 m); Postauto nach Delémont.
Route:
Neumühle/Moulin Neuf – Wanderweg nach Roggenburg bis Strasse – südwärts übers Feld an den Waldrand und hinein – zuletzt über West- oder Ostgrat zum ausgesetzten Gipfelkreuz des Rieji – Abstieg über Ostgrat (und entlang Grenze BL/JU) – sobald Gelände flacher wird direkt südwärts durch Wald und Feld und über Zäune hinab nach Ederswiler – südwärts zur Sägerei – zwischen Kuhweide und Gros Pré an den Waldrand – Waldweg queren – weglos und anstrengend rechtshaltend im Steilwald hoch auf Weg – nach rechts – bei Einmündung in grösseren Weg nach links – auf Pfad über den Ostgrat der Haute Aibaiteuse – Ostgipfel (855 m) und Westgipfel (858 m, südlich des Pfades am Rand von Felsen) – auf breitem Weg unterhalb der Pâturage sur la Montagne zu Wasserreservoir – auf Waldweg über Steilstufe – südwärts übers Feld nach Movelier.
Karte:
Landeskarte 1:25 000, 1066 Rodersdorf, 1086 Delémont.
Info:
Daten:
WT2. 520 m Aufstieg, 380 m Abstieg. 3.30–4 h Gehzeit.
Einkehr:
Moutier und Court. Bergerie La Joux (032 492 15 70 – Öffnungszeiten telefonisch erfragen).
Startpunkt:
Moutier (529 m). Evtl. noch mit dem Bus nach Perrefitte (Haltestelle Blocs).
Endpunkt:
Court (666 m) an der Bahnlinie Biel – Sonceboz – Moutier.
Route:
Bahnhof Moutier – Wanderroute bis östlich Perrefitte (566 m) – Combe Fabet – nach der Schlucht gleich hoch, über die Felder von Petit Champoz deutlich linkshaltend zum Wanderweg im Staatswald – den Weg im oberen Teil abkürzen – entlang der Hangkante zu P. 1036 m, einer Kanzel hoch oberhalb der Gorges de Court – dem Schluchtrand entlang zum höchsten Punkt (1044 m) des Mont Girod – südwestwärts durch Wald und Feld zur Bergerie La Joux (ca. 1010 m) – auf dem Fahrweg über den S-Hang durch Feld und Wald hinab nach Court – ostwärts zum Bahnhof.
Variante:
Von der Bergerie La Joux westwärts nach Champoz (sehenswertes Dorf) und südwärts hinab nach Sorvilier.
Karte:
Landeskarte 1:25 000, 1106 Moutier.
Info:
Daten:
WT1. Aufstieg gut 500 m, Abstieg 700 m. 4–5 h Gehzeit.
Einkehr/Unterkunft:
Les Prés-d’Orvin (Naturfreundehaus Les Prés-d’Orvin) und Diesse.
Startpunkt:
Les Prés-d’Orvin (ca. 1020 m); Bus vom Bahnhof Biel/Bienne.
Endpunkt:
Diesse Village (838 m). Bus nach Prêles Gare, Standseilbahn nach Ligerz und Bahn nach Biel/Bienne; oder Bus nach La Neuveville und Bahn nach Neuchâtel.
Route:
Bus-Endstation in Les Prés-d’Orvin – am linken Pistenrand zu den Bergstationen der Skilifte – westwärts in waldigem und offenen Gelände zum Gipfelkreuz des Ostgipfels (1338 m) – nordwestwärts zu einer gleich hohen Kuppe (1337 m) – hinab in die Noire Combe und hinauf auf den zweithöchsten Gipfel (1351 m) – südwärts in teils lichtem Wald hinab zu einer Wegverzweigung – rechts an der Bergerie du Haut vorbei auf den Hauptgipfel (1382 m) des Mont Sujet – in grob westlicher Richtung über die fast baumlose Hochebene, leicht abwärts und dann wieder aufsteigend zu einer wenig auffälligen Kuppe (1333 m) – steiler hinab in die Combe d’Enfer – über zwei Kuppen nach Le Fornel – südwärts hinab durch Feld und Wald zur Combe Robin, wo man auf den Wanderweg trifft – auf ihm durch den Bois Communs hinab zu P. 987 m (die offizielle Schneeschuhroute geht über Pré aux Boeufs zur Erschliessungsstrasse und folgt dann dieser) – weiter entlang dem Wanderweg nach Diesse.
Variante:
Nur Ost- und Hauptgipfel des Mont Sujet überschreiten, dabei der offiziellen Schneeschuhroute folgen.
Karte:
Landeskarte 1:25 000, 1125 Chasseral.
Info:
Daten:
WT1, ausser der teils ausgesetzte, aber versicherte Weg zu Arête und Refuge des Sommêtres; ohne Schneeschuhe zurücklegen. Wirklich nötig sind sie bei der Überschreitung des Point de Vue, aber nicht in Le Noirmont. Aufstieg und Abstieg je rund 410 m. 4.30–5 h Gehzeit.
Einkehr/Unterkunft:
Les Breuleux, Noirmont, Saignelégier.
Startpunkt:
Les Breuleux (1020 m) an der Bahnlinie Tavannes – Le Noirmont.
Endpunkt:
Saignelégier (982 m) an der Linie über Le Noirmont nach La Chaux-de-Fonds.
Route:
Les Breuleux – Strasse nach Les Vacheries – bei Le Peu Parrat rechts abzweigen – westwärts zuerst auf Strässchen und Weg, dann durch Feld und Wald auf den Hügel Le Point de Vue (1184 m); östlich des dicht bewaldeten höchsten Punktes ein aus Jurasteinen gemauerter Bildstock mit Madonna; dahinter erhebt sich eines der drei 108 Meter hohen Windräder des Windenergieparkes von Le Peuchapatte – vom Gipfelmarkierungstein in offenes Gelände mit Antenne und Gebäuden – querfeldein gegen das mittlere Windrad zu Infotafel – rechts auf Strässchen hinab – bei Verzweigung links – Le Peu des Vaches – Le Creux-des-Biches – bei Verzweigung rechts – über die Bahnlinie (Bahnstation befindet sich weiter westlich) – auf Waldstrasse zur Hauptstrasse (998 m) – in nördlicher Richtung durch Wald und Feld auf den Hügel Haut la Fin (1043 m) – Le Noirmont (970 m) – Wanderroute durchs Dorf und hoch zum Spital auf dem Roc Montès – Les Combes – P. 1074 m am Beginn des Zugangsweges zur Arête des Sommêtres – über Treppenweg, der sich durch Felsspalte zwängt, hinab und wieder hoch – Refuge des Sommêtres (immer offene Selbstversorgungshütte, Kochmöglichkeit, etwa 12 Schlafplätze, ein paar Decken) – Gipfel mit Kreuz (1079 m) – zurück zu P. 1074 m – Wanderweg oder Sentier-Raquettes zur Haltestelle Muriaux (962 m) – Wanderweg nach Saignelégier.
Variante:
Abbruch oder Start in Le Noirmont.
Karte:
Landeskarte 1:25 000, 1104 Saignelégier, 1124 Les Bois.
Daten:
Meist WT1, an den Tablettes ein paar Passagen WT2. Aufstieg und Abstieg rund 400 m. 3.30–4 h Gehzeit.
Einkehr:
Col de la Tourne.
Start- und Endpunkt:
Col de la Tourne (1129 m) an der Postautolinie Neuchâtel Gare – Les Ponts-de-Martel – Le Locle.
Route:
Col de la Tourne – südwärts auf dem gespurten Schneeschuhtrail bis in die Lichtung mit dem Wegweiser «Les Tablettes 1250 m» – Abstecher zum Point de vue, einem Felsen an der Geländekante, mit Geländer, Panoramatafel und Blick auf Neuenburgersee und Walliser Alpen – zurück gegen den Wegweiser – kurz Wanderweg Richtung Rochefort, dann aber rechtshaltend hoch zur Abbruchkante – hoch über dem Val de Travers – Tablettes (ca. 1288 m); der allerhöchste, aussichtslose Punkt (1291 m) liegt weiter nördlich – westwärts weiter entlang dem Weg – Sattel (ca. 1255 m) – P. 1272 – rechtshaltend in eine Waldlichtung (Les Montus auf der Karte) – bei zwei Häusern aus dem Wald – auf dem Zufahrtsweg über Le Plan und Loipen zur Passstrasse mit ein paar Häusern – auf der andern Seite gleich hoch zu zwei Häusern – Pré Ravanel – Le Plandrion – nordwärts durch einen Einschnitt hindurch in die Combe-des-Fies – La Frétreta – Gipfel (1333 m) und Métairie (1310 m) von Grand Coeurie – in grob südlicher Richtung entlang von Loipen und auf Schneeschuhpfaden über Petit Coeurie zurück in den Col de la Tourne.
Karte:
Landeskarte 1:25 000, 1163 Travers, 1164 Neuchâtel.
Info:
Literatur
- Pascal Burnand, Gabriel Chevalier, Raphaël Houlmann: L’Arc jurassien/Jura. Excursions en raquettes et à ski/Ski- und Schneeschuhtouren. SAC Verlag 2011.
- Jean-Luc Girod: Escapades hivernales. 70 itinéraires en raquettes ou à ski sur les crêtes de l’Arc jurassien franco-suisse. Rossolis, Bussigny 2020.